Markus 14,53-72

Verkehrte Welt

Nächtliche Groteske (V. 53-65)
Diese nächtliche Sitzung ist von allen Evangelisten berichtet, und es lohnt sich, diese miteinander zu vergleichen. Man bekommt erst dann ein komplettes Bild. Demnach wurde Jesus gebunden und zuerst zu Hannas, dem Schwiegervater des Kaiphas, gebracht. Hannas schickte Jesus weiter zu Kaiphas, der per Los das Amt des jährlichen Hohepriesters innehatte. Eine eigenartige Begegnung: Der Hohepriester, der menschliche Mittler zwischen Mensch und Gott, steht nun dem menschgewordenen Gott gegenüber und verurteilt diesen!
Doch damit sind der Widersprüche nicht genug: Nach pharisäischem Gesetz durfte die Verhandlung gar nicht in der Nacht stattfinden. Geht es bei einem Verbrechen sogar um Leben und Tod, dann hat man mehr als zwei Tage anzuberaumen. Hier aber geschieht alles in eiliger Hast. Eine widerwärtige Frömmigkeit, die darauf abzielt, Jesus so schnell wie möglich an die römischen Behörden auszuliefern, damit sie in Ruhe Passah feiern können!
Dabei heiligt der Zweck die Mittel: falsche Zeugen. Sie alle sind vermutlich bestochen und widersprechen sich selbst. Matthäus berichtet, dass zuletzt zwei Zeugen vortraten. Es erinnert an den Willen Gottes, dass zweierlei Zeugen Mund eine Sache bestätigen sollen. Grotesk: Die Zeugen werden zahlenmäßig nach dem Gesetz Gottes ausgesucht, und im selben Moment drückt man beim Meineid ein Auge zu. Markus arbeitet mit dem Wort Zeugnis sieben Mal.
Doch das falsche Zeugnis führt nicht zum gewünschten Erfolg. Der Hohepriester wird unruhig. Wie ein römischer Senator steht er - wissend um seine Erscheinung und den Eindruck, den seine hohepriesterlichen Gewänder machen - auf. Hier steht der Vertreter Gottes dem Sohn Gottes gegenüber! Hier der Mann, der gleich Mose und Aaron das Privileg hat, zum Vater und Gott Israels vorzudringen und für das Volk zu opfern und zu beten. Ihm gegenüber der wahre Hohepriester aller Seelen. Der eine ein Mensch, prangend in Ornat und Rede, frei sich bewegend. Dort der Sohn, gebunden, nichts als sein Hemd am Leib, das er bald auch entbehren muss. Welch ein Bild! Der Hohepriester, der Gottes Gunst für sein Volk erbitten soll, will Gott töten! Und zugleich wird der Hohepriester zum Werkzeug Gottes. Der zudem, ohne es zu wissen, das Lamm, das Gott ihm sendet, akzeptiert, das Messer ergreift und das Lamm opfert für die Sünden einer ganzen Welt. Schließlich war es Kaiphas, der den Juden geraten hatte, es wäre gut, ein Mensch stürbe für das ganze Volk! (Joh 18,14). An dem unheiligen Zeremoniell der Bespeiung, des Schlagens eines Wehrlosen und der grenzenlosen Demütigung des „Mannes der Schmerzen“ wollen sich die aus dem „priesterlichen Geschlecht“ nicht die Hände schmutzig machen. Und es bleibt am Schluss die bange Frage: Wie konnte es passieren, dass man Gott so lange kennt, ihm dient und von ihm redet und dann doch an ihm irre wird? So seltsam es klingen mag, aber das Verhalten des Petrus in jener Nacht gibt uns darauf eine Antwort, wenngleich Petrus im Gegensatz zu den Priestern noch rechtzeitig das rettende Seil der Vergebung ergriff.

Hahn im Korb (V. 66-72)
Als einen „Hahn im Korb“ bezeichnet man eine Person, die gerne im Mittelpunkt steht und alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Ich glaube, dass Petrus im Kreis der Jünger gerne „der Hahn im Korb“ war! Schon vor seiner Begegnung mit Jesus war er als Leiter eines kleinen Fischereibetriebes gewohnt, Dinge in die Hand zu nehmen. Im Kreis der Jünger entwickelt er sich schnell als ihr Sprecher. Und als ihn der Herr umbenannte in Kephas = Fels – denn auf einen Felsen wolle er seine Gemeinde bauen -, war Petrus neben seinem Herrn der wichtigste Mann. Auch die Jünger scheinen ihn als solchen zu akzeptieren. So finden wir Petrus bei allen wichtigen Ereignissen auch immer in der Nähe Jesu, selbst dort, wo die meisten anderen Jünger keinen Zutritt hatten. Sein Bekenntnis, dass der Herr Jesus der Messias sei, der wirkliche Sohn Gottes, und das darauffolgende Lob Jesu gehörten sicher zu den glücklichsten Momenten seines Lebens.
Doch in die eifrige Nachfolge dieses Mannes schlichen sich zwei Schwächen ein, die mit seinen Stärken eng gekoppelt waren: zum einen eine gewisse Überheblichkeit und eine fehlende Selbsterkenntnis. In dieser verhängnisvollen Nacht schien Petrus gegen alles gewappnet: „Ich werde mich niemals an dir ärgern“ und „ich bin bereit, mit dir und für dich in den Tod zu gehen!“ An feiges Verleugnen ist nicht zu denken (siehe Mt 26,31-35). Jesus warnt ihn. Der Satan weiß um seine Schwachstellen. Fehlende Selbsteinschätzung und fromme Überheblichkeit waren ein Fallstrick.
Der zweite Fallstrick, der sich in jener Nacht am Feuer um des Petrus Hals schnürte, war: die eigene theologische Vorstellung über den Willen Gottes zu setzen. Als Jesus vom Leiden und vom Kreuz sprach, nahm ihn Petrus beiseite und „fuhr ihn an“: „Gott bewahre dich, Herr! Das widerfahre dir nur nicht!“ In dieser Nacht ist Petrus der Hahn im Korb und will doch alles lieber sein als das. Alle Aufmerksamkeit richtet sich auf ihn. Er wird nach dem gefragt, den er so hoch hielt, ob er einer der Jünger Jesu sei und damit: ob er nicht auch bekenne, dass dieser Verurteilte der Messias sei. Sein selbstgezimmerter Boden schwankt, bricht ein. Das griechische Wort für „verleugnen“ meint: sich abschneiden, sich total lossagen vom Vergangenen. Petrus bangt um das, was er vorher so bereitwillig geben wollte: sein Leben. Er fährt die Leute an und scheint sie ängstlich belehren zu wollen: Ich kenne diesen Menschen nicht, habe nie von ihm gehört. Petrus ist der Hahn im Korb, doch diesmal will man dem Hahn an den Kragen. Petrus flieht beim Hahnenschrei.
Und doch will man Petrus nicht verurteilen. Der Herr tat es auch nicht. Denn Petrus lernte sich in dieser Extremsituation selber kennen. Er erkannte mit Schrecken, was gute Vorsätze und fromme Gefühle halten, wenn es ernst wird. Und der Blick in seine Wirklichkeit ließ ihn erschauern und in Tränen ausbrechen - ernüchtert, verunsichert und desillusioniert, sich nicht sicher, wie sehr er Jesus liebte. In diesem Zustand trifft Petrus Jesus wieder. Und Jesus sagt zu ihm: „Weide meine Schafe“.

Fragen zum Gespräch:
· Zeit zur Stille und Andacht nehmen. Diese Texte wollen still wahrgenommen werden.
· In der Stille sich vor Gott fragen: Kenne ich dich? Man kann viel in der Gemeinde tun und es doch nicht wirklich für Gott tun. Kenne ich Gott? Kenne ich Jesus?
· Habe ich mir meine eigene Theologie gebastelt, mit der ich alt werden möchte? Oder frage ich noch nach dem Willen Gottes? Was willst du, Herr, für mein Leben?

Michael Strauch, Berglen

Impulse zur Veranschaulichung für Kinder und Erwachsene:
Bild eines Wetterhahns mitbringen. = Weshalb steht dieses Symbol auf vielen Kirchtürmen?
(Wetterhahn einfügen)