Weitere Auslegungen (1999)

Lukas 23, 32-49

Kreuzweg

In blauem Licht hängt in der Berliner Gedächtniskirche der Gekreuzigte mit ausgebreiteten Armen über dem Altar - leidend und segnend zugleich. Das Kreuz spaltet das innere Empfinden des Betrachters. Für viele ist es Symbol der Erlösung, für andere Symbol eines bestialisch ermordeten Menschen. So wie die Kirche bruchstückhaft einerseits Symbol für den Sieg des Kreuzes ist, so auch „Gedächtnis“ für Leid und Tod. Das Kreuz wird zum Kreuzesweg für die Menschheit. Es zwingt Nah- wie Fernstehende zur Stellungnahme, heute und damals:

1. Das Kreuz spaltet
Die „spaltende Wirkung“ des Kreuzes beginnt mit der Hinrichtung Jesu inmitten zweier Verbrecher. Im einen keimt der Glaube, im anderen beißender Spott (V. 32.39.40). Die Juden lästern und sprechen vom Christus (V. 37), die Römer sprechen vom König (V. 38). Die Juden wollten einen mächtigen Erlöser, die Römer erklären den Gehängten zum König Israels. Eine schmachvolle Spitze, da Israel lange Zeit keinen König über sich duldete (1.Sam 8) als Gott allein. Die Zuschauer spalten sich in Spötter und Büßer (V. 48). Selbst die Natur zeigt zwei Gesichter, als am hellen Tag die Sonne ihren Schein verliert. Die Soldaten „teilen“ Jesu Kleider, und es teilt sich der schwere Vorhang im Tempel vor dem Allerheiligsten. Das Kreuz spaltet.

2. Das Kreuz verbindet
Das Kreuz durchkreuzt die Pläne der Machthaber wie des einfachen Volkes. Es ärgert bis heute (1.Kor 1,18), weil es aufdeckt, was der Mensch verdeckt. Denn der „Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit“ (Jes 53, 2.3) wird zum „Spiegelbild“ unserer selbst. Der Verbrecher am Kreuz erkennt und bekennt es: „ ...der du doch in gleicher Verdammnis bist? Und wir zwar sind mit Recht darin, denn wir empfangen, was unsere Taten wert sind!“ (V. 40.41). Das Kreuz deckt auf, was „unsere Taten wert sind“: Tod (Röm 3,23). Die Gott-losigkeit und ihre Folgen schlagen den Sohn Gottes mit wilder Kraft ans Kreuz. Christus er-trägt, was uns vernichtet hätte: die tödliche Epidemie der Auflehnung gegen Gott. Als Dank erntet Jesus Spott und Lästerung. Doch Jesus spricht das Geheimnis des Kreuzes aus: „Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!“ (V. 34). Der Mitgehängte sieht tiefer. In ihm keimt Hoffnung auf. Er erfasst, dass Gott die Lästerungen in ihr Gegenteil dreht. Jesus ist der König der Juden, ja der ganzen Welt. Die Dornenkrone ist die wahre Krone. Das Kreuz ist mein Heil und spricht den Sünder frei. Der Mann ahnt es: Die Erlösung der Menschheit geschieht, indem der Mensch von der Diktatur der Sünde befreit wird. Jesu Kreuz wird zum Anwalt und zum wirklichen Befreier des Menschen. Der Verbrecher bittet, dass Jesus sein Beistand sei, wenn er sein Reich aufrichtet. Der Herr erfüllt diese Bitte überschwenglich: “Du wirst heute mit mir im Paradies sein.” Der Vorhang im Tempel ist zerrissen, der Weg zum Vater frei. Das Kreuz verbindet.

3. Das Kreuz verstehen
Ein Hauptmann steht am Kreuzesweg. Er sieht, „was da geschah!“ (V. 47). Andere, die Abstand zum Kreuz halten (V.48), sehen ebenfalls tiefer. Sie ahnen die Größe der Erlösungstat und die Größe der eigenen Schuld, die keinen anderen Weg mehr offen liess als den bitteren Weg des Kreuzes. In ihnen keimt, was der Verbrecher am Kreuz ausspricht: Gottesfurcht (V. 40), diese tiefe Ehrfurcht des Glaubens, die Gott die Herrschaft über das eigene Leben einräumt und vor Gott bekennt, dass der eigene Wille Gottes Willen so oft durchkreuzt. Das Kreuz will aber nicht zum „Kreuz“ werden: zur schweren, ungewollten Last. Es will der Ort sein, wo ich sein kann, der ich bin, wo ich durchschaut und trotzdem angenommen bin und wo meine Sünden nicht einzeln aufgelistet werden. Wo ich sagen kann: Herr, vergib mir und denk an mich.
So ist die Furcht Gottes der Schlüssel zum Kreuz (V. 40). Der Glaube, der tiefer dringt und tiefer sieht. Der Glaube, der begreift, dass es Gott gefallen hat, die Weisheit dieser Welt, auch die eigene, geliebte Weisheit, zunichte zu machen. Der Glaube, der in der Schmach des Kreuzes den Sieg erkennt.

Fragen zum Text: 1. Kreuzweg: wo durchkreuzt das Kreuz meine Pläne?
2. Kreuzweg: Hab ich mich ans Kreuz gewöhnt?
3. Vorschlag: nicht reden, sondern still und betend nachdenken über das Geheimnis des Kreuzes.

Michael Strauch, Berglen

Impulse zur Veranschaulichung für Erwachsene und Kinder:
Das Passahfest vom vergangenen Sonntag nochmals aufgreifen und gemeinsam überlegen: Wo sind Parallelen zum Tod Jesu? Jesus ist das „Lamm Gottes“, das sein Leben für uns hergibt.
Basteln: Aus Karton ein Lamm doppelt ausschneiden, zusammen kleben, dabei die Füße jeweils nach außen knicken, mit Schafwolle bekleben und die Ohren aufkleben.