Die Taten des Heiligen Geistes - Eine Einführung in die Apostelgeschichte

Wir haben vier Evangelien, aber nur eine Apostelgeschichte (Apg). Als einziges Buch im Neuen Testament knüpft die Apg an die historischen Berichte der Evangelien an. Sie gibt uns Einblick in das Leben der ersten Christen, informiert uns über Spannungen, Verfolgungen und theologische Auseinandersetzungen, aber auch über das grandiose Wachstum der ersten Gemeinden durch das Wirken des Heiligen Geistes.

Der Titel der Apostelgeschichte
Der Titel „Apostelgeschichte“ taucht zum ersten Mal in einem gegen den Irrlehrer Marcion gerichteten Prolog des Lukasevangeliums, etwa aus der Zeit zwischen 150 und 180 n. Chr. auf. Die Schriften der Kirchenväter bezeugen den Titel „Taten der Apostel“. Dieser Titel setzte sich gegenüber anderen Bezeichnungen durch und wurde zur Überschrift des Buches im neutestamentlichen Kanon. Wie dieser Titel entstand, ist unklar, denn die Apg informiert nicht über die Werke sämtlicher Apostel, sondern spezialisiert sich im Wesentlichen auf Petrus und Paulus.
Über Johannes erfahren wir kaum etwas. Jakobus ist der Einzige, von dem wir die Umstände seines Todes kennen. Nachdem die Heidenmission begonnen hatte, verlieren wir auch Petrus aus den Augen. Bei Paulus interessiert sich Lukas vor allem für dessen Heidenmission. Lukas ging es nicht um die Biografie einzelner herausragender Persönlichkeiten, sondern vielmehr um die Darstellung des Handelns Gottes, das zur Entstehung der christlichen Gemeinde aus Juden und Heiden führte.
Der Heilige Geist leitet das gesamte Werk. Er führt die Botschafter des Evangeliums, wie z.B. Philippus (Kap 8) und Petrus (Kap 10), er beauftragt die Gemeinde in Antiochia mit der Aussendung von Paulus und Barnabas (13,2) und führt die Missionare schließlich von Ort zu Ort (vgl. 16,6-10). Der Heilige Geist spielt zu jedem wichtigen Zeitpunkt und in jeder Schlüsselperson die führende Rolle. Die Verheißung des Vaters wird durch das Kommen des Heiligen Geistes erfüllt (1,2.5!). Die Apg beschreibt also nicht nur die Taten einiger Apostel, sondern im Wesentlichen die Taten des Heiligen Geistes. Damit setzt die Apg den Bericht vom Wirken Jesu auf der Erde – nun durch seine Jünger - fort.

Zum Verständnis der Apostelgeschichte
Wer die Apg auslegen will, sollte wissen, mit welchen Absichten Lukas die einzelnen Ereignisse zusammengestellt hat. Warum hat Lukas in seinem Bericht gerade diese Personen und Fakten ausgewählt? War es seine Absicht, ein Muster für die Gemeinden aller Zeiten festzuhalten? Was wollte Lukas seinen ersten Lesern, insbesondere Theophilus, einem angesehenen, römischen Verwaltungsbeamten (vgl. die Anrede in Lk 1,3) sagen?
Zunächst gibt er ausgewählte, historische Einblicke in eine besondere heilsgeschichtliche Epoche. Die Apg ist keine ausführliche Kirchengeschichte und auch kein Handbuch für Gemeindeaufbau. Über die Organisation der Ortsgemeinden erfahren wir nur sehr wenig. Die Beschreibung der geografischen Ausdehnung beschränkt sich im Wesentlichen auf die Linie von Jerusalem nach Rom. Von der östlichen Ausbreitung erfahren wir nichts.
Die Vielfalt, mit der Lukas die Geschehnisse erzählt, zeigt, dass es ihm nicht auf den Modellcharakter einzelner Ereignisse ankommt. Zum Beispiel sind bei der Aufzeichnung einzelner Bekehrungen zwar die Wassertaufe und die Gabe des Heiligen Geistes immer vorhanden, sie können jedoch auch in umgekehrter Reihenfolge vorkommen, mit oder ohne Handauflegung. Nirgends sagt Lukas, dass die heidenchristlichen Gemeinden ein ähnliches gemeinschaftliches Leben führten wie die Jerusalemer Gemeinde.
Dennoch hat die Apg Vorbildcharakter. Das Modell liegt allerdings in ihrem Gesamtbild und weniger in den Details. Lukas beschreibt mit vielen Beispielen, wie das Evangelium durch die Kraft des Heiligen Geistes einzelne Menschen und ganze Städte verändern kann. Die Verkündigung des Evangeliums ist Gottes Plan und Auftrag für die Gemeinde, und nichts, weder Hoher Rat noch Gefängnis und Verschwörung, kann sie aufhalten. Die Apg ist somit eine zeitlose Herausforderung. Der Mut, die Entschlossenheit und der Gehorsam der ersten Missionare sind Vorbild für die Glaubenden zu allen Zeiten.
Darüber hinaus sehen manche Forscher in der Apg eine Schrift zur Verteidigung des Christentums bzw. des Paulus. Für eine Verteidigung des Paulus spricht die parallele Darstellung seines Wirkens mit der des Petrus. Auch wenn dies nicht der Hauptzweck des Buches ist, so wollte Lukas vermutlich zeigen, dass Paulus in der Kontinuität zu Petrus wirkte und beide in der gleichen Autorität handelten. Immerhin berichtet die Apg dreimal von der Bekehrung des Paulus (Kap 9, 22, 26).
Ein weiteres wichtiges Anliegen der Apg liegt in der Betonung der universalen Wirkung des Evangeliums. Wir erfahren, wie Samariter, ein Äthiopier, der Römer Kornelius, Heiden in Antiochia, Arme und Reiche, Gebildete und Ungebildete, Frauen und Männer zum Glauben kommen. Die Spannungen, die daraus resultierten, erklären den hohen Stellenwert des Apostelkonzils (Kap 15) für die gesamte Apg. Was aber ist der Hauptzweck des Buches? Lukas beschreibt die Ausbreitung des Evangeliums von Jerusalem über ganz Judäa bis nach Samarien und an das Ende der Erde (vgl. 1,8). Im Mittelpunkt seines Interesses steht der Übergang von der Verkündigung des Petrus unter den Juden zur Verkündigung des Paulus unter den Heiden. Lukas berichtet deshalb vorwiegend über jene Ereignisse, die für den Fortschritt der Heilsgeschichte bedeutend waren, wie z.B. die Bekehrung des Paulus oder die erste Heidenevangelisation. Vieles, was wir aus heutiger Sicht gerne gewusst hätten, bleibt deshalb unbeantwortet.

Der Aufbau der Apostelgeschichte
Die Apg beginnt, wo das Lukasevangelium endet. Man kann die Apg anhand der Hauptpersonen Petrus (Kap 1-12) und Paulus (Kap 13-28) oder aufgrund der geografischen Ausdehnung des Evangeliums (Kap 1-7: Jerusalem; 8-10: Samaria und Judäa; 11-28: bis an die Enden der Erde) gliedern. Doch Lukas hat sein Material noch auf eine andere Weise geordnet. Nach kurzen, zusammenfassenden Aussagen (6,7; 9,31; 12,24; 16,5 und 19,20) scheint er für einen Moment innezuhalten, um dann wieder neu zu beginnen. Dadurch entstehen sechs Teile, die in ihrer ständigen Vorwärtsbewegung die Erzählung schließlich bis an ihren Zielpunkt - Rom - führen.

Lukas – Arzt, Historiker und Theologe
Von Beruf war Lukas Arzt (Kol 4,14). Vermutlich stammt er aus Antiochia in Syrien und kam mit dem Beginn der Heidenmission zum Glauben. Um Theophilus, der bereits Informationen über den christlichen Glauben hat, von deren Zuverlässigkeit zu überzeugen, wird Lukas Historiker und verfasst einen detaillierten Bericht in zwei Bänden - von der Geburt Johannes des Täufers bis zur Gefangenschaft des Paulus in Rom. Das Ergebnis ist ein historisches Meisterwerk. Als Einziger der neutestamentlichen Autoren nennt er den Namen eines römischen Kaisers. Da er die Namen vieler römischer Statthalter kennt, muss er sehr genau recherchiert haben. Seine Berichte halten jeder historischen Überprüfung stand.
Aus welchen Quellen hat Lukas seine Informationen gewonnen? Manches aus der Zeit der Apg hat er selbst erlebt, was er durch die „Wir-Berichte“ andeutet (16,10; 20,5; 27,1). Lukas könnte hier aus seinen eigenen Tagebuchaufzeichnungen geschöpft haben. Im Übrigen erfuhr er durch Paulus aus erster Hand, was dieser erlebte. Aufgrund seiner intensiven Forschungsarbeit hatte er Kontakt zu vielen weiteren Augenzeugen. Wenn er aus Antiochia kam, kannte er viele, die ihm über die Anfänge der Heidenmission berichten konnten, z.B. Barnabas oder sogar Petrus (vgl. Gal 2,11). Um sein Wissen zu vergrößern, wird er auch die zwei Jahre genutzt haben, die Paulus in Cäsarea im Gefängnis saß (24,27). In Jerusalem wohnte er bei Mnason (21,16) und hatte dort auch Kontakt zur Familie Jesu.
Doch Lukas war nicht nur Historiker. Die Apg ist auch eine theologische Arbeit. Bereits im Lukasevangelium hat der Begriff „Reich Gottes“ eine große Bedeutung (er kommt dort 32-mal vor). Im zweiten Band, der Apg, zeigt Lukas wie sich das Reich Gottes gegen alle erdenklichen Widrigkeiten von den Juden zu den Heiden, von Jerusalem bis nach Rom durchsetzt (vgl. den Beginn der Apg, 1,3.6; – 40 Tage hatte Jesus mit seinem Jüngern über das Reich Gottes gesprochen). Über allem steht dabei die Souveränität Gottes, von der das gesamte Werk geprägt ist.
Lukas warnt vor einer allzu enthusiastischen Naherwartung. So gibt er die Aufforderung der Engel wieder, nicht stehen zu bleiben und zum Himmel hinaufzuschauen (1,11). Jesus wird nicht deshalb schneller wiederkommen, wenn seine Leute gespannt zum Himmel sehen. Sie sollen nach Jerusalem gehen und die Arbeit aufnehmen, die dort auf sie wartet.
Lukas berichtet über viele Wunder. Sie sind für ihn die Zeichen einer neuen Zeit und der Beweis, dass Jesus der Messias ist. Durch seine Jünger wirkt Jesus weiter. Es ist bemerkenswert, dass Lukas die Wunderberichte nicht gleichmäßig auf die Apg verteilt. Vielmehr ist ein Rückgang in der Betonung der Wunder gegen Ende der Apg zu erkennen, wie auch in den Briefen des Paulus.
Die Apg hat eine nicht zu unterschätzende Bedeutung für unsere Kenntnis über die Entstehung der ersten Gemeinden. Die Worte Jesu: „ihr werdet meine Zeugen sein“ (1,8) finden sich auch in Jes 43,10. Durch die Jünger bringt der Heilige Geist die alttestamentlichen Verheißungen zur Erfüllung. So sind die Ereignisse der Apg, insbesondere die Heidenmission, die Bestätigung und Weiterführung des Handelns Gottes in seiner Geschichte.

Harald Brixel, Knittlingen