Einführung Josefsgeschichte

I. Der Zusammenhang
Die Josefsgeschichten (Jg) bilden einen wichtigen Teil der (Erz-)Vätergeschichten.

1. Die Urgroßeltern: Abraham und Sara (1. Mo 12-27).
Alles beginnt mit dem Handeln Gottes! ER beginnt die Heilsgeschichte mit seinem Ruf an Abraham (1. Mo 12,1-7).
- Gott beginnt klein und verborgen.
- Am Anfang stehen die grundlegenden Verheißungen: VOLK - LAND - SEGEN.
(1. Mo 13, 14-16; 15,5-7; 17,4-8).

2. Die Großeltern: Isaak und Rebekka (1. Mo 21-36).
Mehrfache Bekräftigung der Verheißungen (z.B. 1. Mo 26,2-4).

3. Die Eltern: Jakob und Rahel (ab 1. Mo 25)
Josef ist der elfte Sohn unter den zwölf Söhnen Jakobs - der erste der von ihm so sehr geliebten Rahel (vgl. 1. Mo 29; 30,22-24). Rahel stirbt bei der Geburt des jüngsten Bruders Benjamin (35,16-20). Gott bekräftigt auch Jakob die Verheißungen und gibt ihm den Namen Israel (32,29; 35,9-12).

4. Seine Brüder: (1. Mo 35,23-26)
Die Erzväter erhalten die Verheißungen. Sie leben im Hoffen und in der Erwartung der Erfüllung.

II. Grundlinien des Josefsgeschichte
1. Gott führt seinen (Heils-)Plan durch
Gott führt
- trotz Schuld und Irrwegen der Menschen.
Er gibt seine Verheißungen (VOLK - LAND - SEGEN) an Abraham - Isaak - Jakob (s. I.).
Er bestätigt sie mehrfach und bleibt diesem Wort total treu, unabhängig von menschlichem Verhalten, von den Irrungen und Wirrungen des Lebens und großer Schuld. "Sind wir untreu, so bleibt er doch treu". Und "Gottes Gaben und Berufung können ihn nicht gereuen" (Röm 11,29).
Gott führt
- und gebraucht dabei Lebensumstände, die oft widerwärtig und notvoll sind und verworren erscheinen (vgl. Jes 28,29).
Gott führt
- ans Ziel.
Am Anfang des Weges zeigt er den Blick aufs Ziel (37,5-11). Doch auf dem langen Weg ist es dem Auge weithin verborgen - es scheint sich gegenteilig zu entwickeln. "Hier ist Geduld und Glaube der Heiligen" (Offb 13,10). Josef bewahrt diesen Blick und sieht in allem Gottes Handeln (45,5-8; 50,20).

2. Gottes Erwählung
Gott erwählt
- unabhängig von menschlichen Qualitäten.
Das wird schon deutlich bei Jakob und Esau. Nicht der erstgeborene Ruben schreibt Geschichte. Gott ist in seinem Handeln souverän: 1. Kor 1,26-29; 2,1-5.
Gott erwählt
- zum Dienst.
Erwählung ist nach biblischer Sicht nicht Bevorzugung, sondern "In-Dienst-Nahme". Jede Gabe wird zur Aufgabe (1. Petr 4,10). Gott beschlagnahmt - und sendet. Und so ist Josef gesandt zur Rettung seiner Familie und aller (41,55-57).
Gott erwählt
- zum Leiden.
Erwählung - Dienst - Leiden: das ist der biblische Zusammenhang. So führte Gott seine "Knechte" Josef - Israel - Jesus ins Leiden. Denn Gottes Bote in der Welt zu sein bedeutet nicht erstlich Beifall, sondern oft einsame Wege.

3. Gott erzieht seine Leute
Gott erzieht
- den Vater Jakob, gerade durch die Führungen mit Josef. Er muss durch seine Söhne erleiden, was er selbst seinem Vater angetan hatte: Betrug im Alter (37,31-35). Er, der alles tatkräftig in die Hand nehmen wollte, wird in seinem Alter total abhängig und hilflos - aber er bekennt: Der Herr ist mein Hirte gewesen mein Leben lang (48,15+16).
Gott erzieht
- Josef.
Die schweren Führungen bewahren ihn vor Hochmut und Groll und erziehen ihn zu einem Mann nach dem Herzen Gottes.
Gott erzieht
- seine Brüder.
Durch die schweren Führungen reift allmählich Buße und Umkehr heran, wie es Luther formuliert: erkennen der Schuld - bekennen - hassen und lassen - in einem neuen Leben wandeln (42,21; 44,16-34; 50,15-18).
Viele Lebensführungen sind Erziehungswege Gottes - und das Gesetz ist Zuchtmeister (Erzieher) auf Christus hin (Gal 3,24).

4. Gott hat alle und alles im Blick
Gott sorgt
- für Jakobs Familie (s. Punkt 3)
Gott sorgt
- für Pharao.
Er lernt Gott kennen, gibt ihm die Ehre und erhält seinen Segen (47,1-10).
Gott sorgt
- für das ganze Volk.
Er hat auch die äußere Not der Menschen im Blick und bewahrt vor Hungersnot: Das ägyptische Volk und "alle Welt" (41,53-57), vgl. 1. Tim 2,4.

5. Gott löst die erste Verheißung ein: Israel wird ein Volk
Als kleine Familie begann es, als Großfamilie ziehen sie mit 70 Personen nach Ägypten (46,26+27) - und als großes Volk ziehen sie nach 430 Jahren wieder aus (2. Mo 12,40).
Es war eine notwendige "Umleitung" (46,3+4): In Kanaan wären sie der Versuchung unterlegen, sich mit den umliegenden Heidenvölkern zu vermischen. Das zeigt die spätere Geschichte.
In Ägypten wohnten sie abgesondert - weil die Ägypter es nicht anders wollten (46,34). So bewahrte Gott sein Volk.
Es ist ein großes Geheimnis um Gottes Wege mit seinem Volk Israel, mit Jesus Christus und auch mit seinen Kindern. Sie sind wunderbar, oft auch sehr sonderbar - vgl. Israels Weg (Röm 9-11).

6. Ein Vorbild auf Christus hin (s. Teil IV)

7. Fazit: Ein Leben unter der Führung Gottes
Wir können hier die wichtigsten Situationen und Herausforderungen im Leben eines gläubigen Menschen erkennen - wie Glaube gefordert wird und wie er sich bewährt: in Glück und Unglück, in Freud und Leid, in Schuld und Vergebung. Wenn ein Mensch sich ganz unter Gott stellt, sind alle anderen dadurch gesegnet: in der Familie, in der Gemeinschaft, in der Gemeinde (vgl. 1. Kor 7,14).
- Dazu passend Psalm 1. - Bibelstellen, die eine "Überschrift" über die Jg sind: 1. Mo 50,20; Ps 23,4; Ps 37,5+7,37; Jes 28,29; Röm 5,20; 8,28.

III. Zur Auslegung
Bei der Jg verhält es sich so, wie sehr oft beim Wort Gottes: Es ist sehr vielschichtig und beinhaltet zugleich mehrere Aspekte. Es ist wundervoll zu erkennen, wie in Gottes Geschichte mit uns Menschen verschiedene Linien ineinander verwoben sind und er alles im Blick hat. Lasst uns darüber immer neu ins Staunen kommen!
Ich nenne vier Aspekte, die uns bei der Auslegung im Blick sein sollten:

- Der zeitgeschichtliche Aspekt
Die Jg ist ein Teil der Geschichte Israels und beinhaltet eine wichtige Phase: der Weg hinab nach Ägypten. Es ist Gottes Weg mit seinem Volk (46,3+4) und beantwortet die Frage, weshalb Israel aus Ägyptenland, aus dem "Hause der Knechtschaft" herausgeführt werden musste. Dieses Bekenntnis der Befreiung aus der Knechtschaft Ägyptens steht am Beginn aller Glaubensbekenntnisse Israels.

- Der heilsgeschichtliche Aspekt
Die Jg ist ein Teil des Heilsweges Gottes mit seiner Menschheit, den er mit Abraham begonnen hat und den er zunächst in dieser Familie und dann in seinem Volk Israel weiterführt und durch Christus ausweitet auf alle Welt, bis er mit dem Volk Gottes des Alten und des Neuen Bundes ans Ziel kommt. Hier gilt auch Röm 11,33-36!

- Der erbauliche Aspekt
Josef ist ein Vorbild im Glauben. Wir können uns in zahlreichen Lebenssituationen wieder erkennen - vor allem Gottes Handeln an seinen Kindern! (vgl. Teil II, Punkt 7).

- Der christologische Aspekt
Josef ist ein Vorbild auf Jesus Christus hin, wie wir es in dieser Klarheit selten im Alten Testament antreffen. Sowohl die Grundlinien weisen darauf hin als auch zahlreiche einzelne Details. Vgl. dazu IV. und die Zusammenstellung "Josef und Jesus" am Beispiel von 1.Mo 37.
Grundsätzlich gilt: Keiner wird den ganzen Reichtum erfassen und erkennen, der in diesen Kapiteln liegt. Deshalb haben wir auch den Brüdertisch als eine sinnvolle Einrichtung der Ergänzung. Andererseits gilt: Alle Aspekte sollten im Auge behalten werden; bei der Auslegung sind jedoch Schwerpunkte zu bilden.

IV. Der Weg von Josef und Jesus
- Ein Leben unter der Führung Gottes -
Verwiesen wird auf den Aspekt der christologischen Auslegung (s. Teil III). Als biblische Leitlinie gilt Phil 2,5-11. Nachfolgende Zusammenstellung zeigt Grundlinien auf, die wir sowohl bei Josef als auch bei Jesus sehen und die zu einer vergleichenden Betrachtung einladen.

- Vom Vater geliebt
- Erwählt zum (Hirten)-Dienst
- Gehorsam dem Vater
- Mit dem Ratschluss Gottes vertraut
- Gesandt zu den Brüdern
- Von den Brüdern verworfen
- Neid und Hass erlitten
- Ins Leiden geführt
- Hinab nach Ägypten
- In der Schule Gottes
- Im Leid gesegnet
- In der Versuchung bewahrt
- Beschenkt mit Gnade und Weisheit
- Ungerechtigkeiten still erlitten
- Von Menschen verlassen
- Von Gott erhöht
- Vollmacht über alles Volk
- Beauftragt zur Rettung aller
- Fürsorge für alle
- Erzieher und Seelsorger der Brüder
- Versöhnung gelebt
- Böses mit Gutem vergolten
- Vergebung geschenkt
- Liebe zum Vater gelebt
- Überströmender Segen für alle
- Stets auf Gott ausgerichtet
- Am Ende (wieder) mit dem Vater vereint
- Gott allein die Ehre

V. Aufbau und Gliederung
I. Im Land Kanaan
1. Sohn Jakobs und Rahels (1. Mo 30,22-24)
2. Joseph im Haus seines Vaters (37,1-17)
2.1 Liebling des Vaters und Eifersucht der Brüder (1-4)
2.2 Träume Josephs (5-11)
2.3 Jakob schickt Joseph zu seinen Brüdern (12-17)
3. Nach Ägypten verkauft (37,18-36)
3.1 Der Mordbeschluss der Brüder (18-24)
3.2 Der Verkauf Josephs (25-30)
3.3 Das Verbergen der Tat (31-36)
II. In Ägypten
1. Im Haus Potiphars (1. Mo 39,1-20)
1.1 Versuchte Verführung (1-12)
1.2 Verleumdung und Verurteilung (13-20)
2. Im Gefängnis (39,20-41,14)
2.1 Joseph wird Gefängnisaufseher (39,20-40,4)
2.2 Die Träume der Mitgefangenen legt Joseph aus (40,5-23)
3. Josephs Weisheit (41,1-36)
3.1 Die beiden Träume Pharaos (1-8)
3.2 Josephs Traumdeutung und Rat (9-36)
4. Josephs Erhöhung (37-57)
4.1 Der zweite Mann im Staat (37-46)
4.2 Josephs Fürsorge für Ägypten (47-57)
5. Die Reise der Brüder nach Ägypten (41,1-45,28)
5.1 Erste Reise und erste Begegnung (42,1-38)
5.2 Zweite Reise und zweite Begegnung (43,1-34)
5.3 Joseph gibt sich zu erkennen (44,1-45,19)
5.4 Die Heimkehr der Brüder (45,20-28)
6. Jakob zieht mit der Familie nach Ägypten (46,1-47,26)
6.1 Reise und Begegnung mit Joseph (46,1-34)
6.2 Jakob vor Pharao (47,1-12)
6.3 Josephs Agrarpolitik (47,13-26)
7. Jakobs Segen und Tod (47,27-49,33)
7.1 Jakobs letzter Wunsch (47,28-31)
7.2 Jakobs Segen über seine Enkel (48,1-22)
7.3 Jakobs Segen über seine Söhne (49,1-28)
7.4 Jakobs Tod (29-33)
8. Gott führt zu einem guten Ende (50,1-26)
8.1 Das Begräbnis Jakobs (1-14)
8.2 Josephs Großmut und Vergebung (15-21)
8.3 Josephs Alter und Tod (22-26)