Zeuge sein

Der Zeuge und sein Zeugnis

Im Neuen Testament werden verschiedene Worte gebraucht, um die Verkündigung des Evangeliums zu beschreiben:

1. Da ist zunächst das Wort verkündigen. Jesus greift in der Synagoge von Nazareth (Lk 4,18f.) die Weissagung des Jesaja (61,1f.) auf: „Der Herr hat mich gesandt, den Elenden gute Botschaft zu bringen, die zerbrochenen Herzen zu verbinden, zu verkünden den Gefangenen die Freiheit, den Gebundenen, dass sie frei und ledig sein sollen, zu verkündigen ein gnädiges Jahr des Herrn.“

2. Ein anderes Wort im griechischen Urtext ist evangelisieren. Er – Jesus - ist das Evangelium. So ruft es der Engel auf dem Hirtenfeld: „Ich verkündige euch große Freude; denn euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus, der Herr, in der Stadt Davids“ (Lk 2, 10f).

3. Ein ganz wichtiges Wort für die Verkündigung des Evangeliums ist im Neuen Testament bezeugen, Zeugnis und Zeuge. Damit wird besonders ausgedrückt, dass es sich um reale Tatsachen und um wahre Ereignisse handelt, die bezeugt werden. Es ist ein Bekenntnis der Wahrheit, die bekräftigt wird. Mehr als hundertmal hat sich Gott im Alten Bund geoffenbart im „Zelt des Zeugnisses“ oder in der „Lade des Zeugnisses“ (so in 2Mo 25 in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments, der Septuaginta).

Und Jesaja ruft das Volk Israel als Zeuge vor der Heidenwelt auf: „Ihr seid meine Zeugen!“ Alle Völker müssen es hören: Es ist die Wahrheit! Kein anderer Gott als der Herr. „Ich, ich bin der Herr, und außer mir ist kein Heiland!“ (Jes 43,8-13) Und noch einmal gegen die toten Götzen: „Ich bin der Erste, und ich bin der Letzte, und außer mir ist kein Gott … Ihr seid doch meine Zeugen! Ist auch ein Gott außer mir? Es ist kein Fels, ich weiß ja keinen“ (Jes 44,6-8).

Was bedeutet in unserer Gesellschaft ein Zeuge?

In unserer Welt heute ist ein Zeuge eine Person, die durch eigene Wahrnehmung Angaben zur Klärung eines Sachverhalts machen kann. Dazu muss eine Person wahrheitsgemäß vor anderen Menschen Zeugnis über eigene Beobachtungen, Erlebnisse, aber auch über Abläufe von Geschehnissen ablegen. So geschieht das bei der Polizei, bei Gerichtsverfahren, in der Verwaltung, aber etwa auch bei Trauungen.

Ganz ähnlich wird das Wort Zeugnis auch im biblischen Rechtsleben gebraucht

1. Ein Zeugnis muss absolut wahr sein

Dies steht unter Gottes besonderem Schutz: „Du sollst kein falsch Zeugnis reden wider deinen Nächsten!“ (2Mo 20,16 und 5Mo 5,20) Schriftliche Beweise oder gar Indizien spielten in biblischer Zeit keine große Rolle. Wer wider seinen Nächsten falsches Zeugnis redet, der ist wie ein Streithammer, Schwert und scharfer Pfeil (Spr 25,18). Und Jesus sagt, wie aus dem Herzen des Menschen böse Gedanken kommen, Mord…falsches Zeugnis (Mt 15,19). Darum, wer wahrhaftig ist, der sagt offen, was recht ist; aber ein falscher Zeuge betrügt (Spr 12,17). 

2. Von eindeutig wahren Zeugenaussagen hängt alles ab

Darum durfte eine Verurteilung nur auf übereinstimmende Aussagen von zwei Zeugen erfolgen (4Mo 35,30; 5Mo 17,6; 19,15). Beim Todesurteil musste der Zeuge den ersten Stein werfen (5Mo 17,7). Im Prozess gegen Jesus und auch gegen den Diakon Stephanus reichte das Zeugnis der falschen Zeugen nicht aus (Mt 26,59-61 und Apg 6,12-14). Mit falschen Zeugen wurde Nabot zum Tod verurteilt (1Kön 21).

3. Bei Verträgen brauchte man verlässliche Zeugen

So nimmt Isaak in Beerscheba beim Bund mit Abimelech sieben Lämmer als Zeugnis (1Mo 21,30). Jakob nimmt dann in seiner Auseinandersetzung mit dem Schwiegervater Laban einen Steinhaufen als Zeugen (1Mo 31,48-52). Es ist gleichsam ein Beweisstück. Darüber hinaus wird Gott als Zeuge angerufen. Himmel und Erde werden dann zu Zeugen (5Mo 4,26; 30,19). Auch Paulus ruft in seinen Briefen immer wieder Gott zum Zeugen an (Röm 1,9 und Phil 1,8 und öfter).

4. Auch in der Gemeindezucht braucht man mehrere zuverlässige Zeugen

Jede Sache soll durch den Mund zweier oder dreier Zeugen bestätigt werden (Mt 18,16). Und Timotheus soll keine Klage gegen einen Ältesten annehmen ohne zwei oder drei Zeugen (1Tim 5,19).

5. Man bekräftigt wichtige Aussagen, indem man sie eindeutig bezeugt

So bezeugt Paulus den Juden, dass sie Eifer für Gott haben (Röm 10,2). Er bezeugt den Gemeinden, dass sie über ihre Kräfte willig ihre Opfer gaben (2Kor 8,3). Auch den Galatern bezeugt Paulus, dass sie für ihn, wenn es möglich wäre, die Augen ausgerissen hätten (Gal 4,15). Auch bezeugen Gesetz und die Propheten Gottes Gerechtigkeit (Röm 3,21).

Das ganz besondere Zeugnis bei Christen

1. Das Zeugnis hat das Evangelium von Jesus Christus zum Inhalt

Hier bekommt das Wort Zeugnis eine ganz neue, viel tiefere Bedeutung. Es ist das Evangelium Gottes, der Sühnetod und die unzerstörbare Kraft des Lebens in der Auferstehung von Jesus, die damit umschrieben sind. Jesus kündigt seinen Jüngern an, dass sie vor Fürsten und Könige geführt werden, zu einem Zeugnis, weil sie dann vor den Völkern von Christus reden können (Mt 10,18). Das Zeugnis ist das Wort, das gepredigt werden muss. So sagt es Jesus am Ende der Begegnung mit zwei Jüngern in Emmaus: „So steht’s geschrieben, dass Jesus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße und Vergebung der Sünden unter allen Völkern. Fangt an in Jerusalem, und seid dafür Zeugen“ (Lk 24,46 f). Auf ganz vielfältige Weise wurde das Evangelium verkündet, aber immer einstimmig in seinem Inhalt. So bezeugt Johannes Jesus als Licht der Welt, Wort Gottes, das selbst Gott ist, die Wahrheit und das Leben. Und wir wissen, dass sein Zeugnis wahr ist (Joh 21,24). Und so bezeugt es Petrus: Der Gott unserer Väter hat Jesus auferweckt, den ihr an das Kreuz gehängt und getötet habt. Den hat Gott durch seine rechte Hand erhöht zum Fürsten und Heiland, um Israel Buße und Vergebung der Sünden zu geben. Und wir sind Zeugen dieses Geschehens und mit uns der Heilige Geist, den Gott denen gegeben hat, die ihm gehorchen (Apg 5,30ff).

2. Der Heilige Geist macht Feiglinge zu mutigen Zeugen

Nachdem Jesus getötet wurde, sollen seine Jünger Zeugen des Auferstandenen sein (Apg 1,8). Dazu wird die Kraft des Heiligen Geistes versprochen, der auf sie kommen wird. Es war in der ersten Christenheit völlig klar, dass Gottes Gabe des Heiligen Geistes nicht ein bequemes Leben bereiten will, sondern sie zu mutigen Zeugen von Jesus und seines Heils macht. So hatte es schon Jesus angekündigt: „Wenn aber der Tröster kommen wird, den ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der vom Vater ausgeht, der wird Zeugnis geben von mir. Und auch ihr seid meine Zeugen, denn ihr seid von Anfang an bei mir gewesen“ (Joh 15,26f).

3. Jesus Christus ist zuerst einmal selbst der treue Zeuge

Als der Erstgeborene von den Toten und Herr über die Könige auf Erden ist Jesus Christus der treue Zeuge (Offb 1,5). Er bezeugt, was er gesehen hat (Joh 3,11). Seine Werke, die ihm der Vater gegeben hat, bezeugen, dass ihn der Vater gesandt hat (Joh 5,36). Der himmlische Vater gibt Zeugnis von Jesus (Joh 5,32 und 37, auch 8,18). Auch die ganze Schrift zeugt von Jesus (Joh 5,39). Jesus heißt Amen (= das ist gewiss wahr!), er ist der „treue und wahrhaftige Zeuge, der Anfang der Schöpfung Gottes“ (Offb 3,14). Ganz am Ende der Offenbarung spricht Jesus, der helle Morgenstern, dass er dieses Wort für die Gemeinden bezeugt (Offb 22,16), auch dass nichts hinzugefügt noch weggetan werden darf (22,18). Gott gibt den Glaubenden sein Zeugnis (Hebr 11,2). Die große Wolke von Zeugen mahnt uns, mit Geduld im verordneten Kampf zu laufen und auf Jesus zu blicken, den Anfänger und Vollender des Glaubens (Hebr 12,1f).

4. Durch dieses gepredigte Zeugnis vollzieht sich eine unheimliche Scheidung

Schon der Täufer Johannes kam zum Zeugnis von dem Licht, damit sie alle durch ihn glaubten (Joh 1,7). Zu diesem Zeugnis von Jesus gehört, dass Jesus der Sohn Gottes ist (Joh 1,34) und als das Lamm Gottes der Welt Sünde trägt (Joh 1,29). Durch den Glauben an Jesus wird das Zeugnis besiegelt (Joh 3,32f). „Wer an Jesus, den Sohn Gottes glaubt, der hat das ewige Leben. Wer aber dem Sohn nicht gehorsam ist, der wird das Leben nicht sehen, sondern der Zorn Gottes bleibt über ihm“ (Joh 3,36). Keine Rettung gibt es für alle, die das große Heil nicht achten, weil Gott dazu Zeugnis gegeben hat durch Zeichen, Wunder und mancherlei mächtige Taten und durch Austeilung des Heiligen Geistes (Hebr 2,3f). Es ist dieser Heilige Geist, der unserem Geist Zeugnis gibt, dass wir Gottes Kinder sind (Röm 8,17).

5. Gemeinde wächst vor allem anderen durch das Jesuszeugnis

Allem Widerstand zum Trotz gaben die Apostel mit großer Kraft Zeugnis von der Auferstehung des Herrn Jesus (Apg 4,33). Die Apostel bezeugen, dass der Vater den Sohn gesandt hat als Heiland der Welt (1Joh 4,14). So bezeugen sie das Leben, das ewig ist und uns erschienen ist (1Joh 1,2). Durch keinen anderen Namen können wir selig werden (Apg 4,12). Jesus ist der Fürst des Lebens (Apg 3,15). Dieses gepredigte Zeugnis wurde mächtig und breitete sich aus, weil die Apostel trotz Verfolgung nicht aufhörten, im Tempel und hin und her in den Häusern das Evangelium zu lehren und zu predigen (Apg 5,42). Und viele wurden dem Glauben gehorsam (Apg 6,7).

6. Man darf sich am Zeugnis von Jesus nicht genieren

Schäme dich nicht des Zeugnisses von unserem Herrn! Das befiehlt Paulus dem jungen Mitstreiter Timotheus (2Tim 1,8). Die Welt hasst Jesus, weil er von ihr bezeugt, dass ihre Werke böse sind (Joh 7,7). Wegen Christus sind wir wie Schlachtschafe angesehen (Röm 8,36). Die Apostel gingen fröhlich vom Verhör beim Hohen Rat weg, weil sie gewürdigt wurden, für Jesus Prügel, Schmerz und Verachtung zu tragen (Apg 5,41). Und Petrus schreibt: „Selig seid ihr, wenn ihr geschmäht werdet über dem Namen von Christus; denn der Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und Gottes ist, ruht auf euch“ (1Petr 4,14).

7. Das Martyrium als das größte Zeugnis

Nur der kann Jünger von Jesus sein, der bis zum Letzten bereit ist, sein Leben für ihn einzusetzen. Das griechische Wort für Zeuge martys ist in unserem Fremdwort Märtyrer enthalten. Das ist ein Zeuge, der sein Zeugnis für das Wort der Wahrheit mit seinem Leben besiegelt. Jesus sendet seine Jünger wie Schafe mitten unter die Wölfe (Mt 10,16). Aber Jesus verheißt: „Wenn sie euch überantworten, so sorgt nicht, wie oder was ihr reden sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, sondern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet“ (Mt 10,19f). Und in der Ewigkeit heißt es von den Märtyrern, die umgebracht worden waren um des Wortes Gottes und ihres Zeugnisses willen (Offb 6,9): „Sie haben überwunden durch des Lammes Blut und durch das Wort ihres Zeugnisses und haben ihr Leben nicht geliebt bis in den Tod“ (Offb 12,11).

Was bedeutet das Zeugnis für unseren Dienst heute ganz praktisch?

Man kann über das Wort Gottes referieren, diskutieren, sich unterhalten und vieles andere mehr. Man kann das Evangelium exegetisch sauber verkündigen und dogmatisch korrekt lehren.
Etwas anderes ist aber, wenn das persönliche Zeugnis dazu kommt. Das kann nur, wer innerlich durch Gottes Geist völlig überwunden wurde von Jesus Christus und seinem Wort.
Wer wirklich sein Heil in Jesus Christus gefunden hat, den muss man nicht zum Zeugnis mobilisieren. Er wird brennen. Er kann es nicht lassen zu reden von dem, was er gesehen und gehört hat.
Nur wenn das Evangelium eine von uns erlebte Tatsache ist, können wir es mit Kraft, Freimut und Gewissheit weitersagen. Auch tritt der Zeuge ganz hinter dem zurück, was er sagt. Er ist weniger darauf bedacht, seine Hörerschaft zu vermehren, als vielmehr Ungläubige zu über“zeugen“, auch sie zu Jesuszeugen und zu Missionaren zu machen. Die Kraft des Zeugnisses liegt in der Wahrheit. Das Zeugnis proklamiert die Königsherrschaft von Jesus Christus. Es ist immer Anspruch und Zuspruch. An ihm scheiden sich Glaube und Unglaube.
Darum werden alle Verkündiger immer wieder zu ringen haben, dass ihr Wort nicht sei wie das von tausend anderen Reden. Ein echtes Zeugnis vom Heil in Jesus Christus kann nur aus der Stille des eigenen Hörens und Erlebens unter dem Wort Gottes kommen.
Weil der Heilige Geist selbst der Zeuge der Heilstatsachen ist, darum werden Zeugen von Jesus allem Unglauben und Spott zum Trotz immer eindeutig, unmissverständlich, fest und gewiss auftreten. Und sie wissen, dass ihr Zeugnis nicht vergeblich ist in dem Herrn.

Pfarrer Winrich Scheffbuch, S-Bad Cannstatt