Geist

Es ist gar nicht so leicht zu beschreiben, was wir mit dem Wort „Geist“ eigentlich meinen! Da hören wir, der Mensch bestehe aus „Geist, Seele und Leib“; von „geistlosen Bemerkungen“; vom „Geist der Freiheit“, der durch Schillers Werke weht; da wird (oder wurde früher) der „Geist von Rom“ beschworen, wenn es mit der europäischen Einigung nicht so recht voranging; da bestimmt der „Zeitgeist“ unser Denken; da wird schließlich Goethes Zauberlehrling „die Geister, die ich rief“ nicht mehr los.
Kann uns das Lexikon helfen? Unser Wort „Geist“ komme (so ein Lexikon) von einem alten germanischen Wortstamm gheis – mit der Bedeutung „erregt sein, aufgebracht sein, schaudern“. „Geist“ bezeichne „die Summe der Kräfte des Verstandes und der Vernunft“. Es sei der Inbegriff des denkenden und wollenden Bewusstseins im Unterschied von der nur erlebenden Seele. Jedenfalls liegen wir richtig, wenn wir „Geist“ nicht dem Bereich des Handgreiflichen, Materiellen zuordnen, sondern dem des Unsichtbaren, letztlich nur schwer Fassbaren.

Der biblische Befund: das Alte Testament

Nehmen wir die Bibel zur Hand! Im AT bezeichnet das lautmalende Wort ruach den „Wind“, den „Hauch“, bzw. hinter den äußerlichen Phänomenen die Kraft, die darin wirksam ist – eine Kraft, die Veränderungen bewirkt. Schauen wir genauer hin, dann geht es beim „Wind“ besonders um das rätselhafte Woher und Wohin dieser Naturerscheinung, die nur an ihren gegenwärtigen Wirkungen erkannt wird. Als „Hauch“ steht es für den Lebensatem des Menschen, der aber zugleich auch ein Stimmungsbarometer ist, das die aktuellen Empfindungen eines Menschen offenbar macht. So stockt der Königin von Saba der Atem, als Salomo ihr seine Schätze zeigt (1.Kön 10,5). In übertragener Bedeutung ist ruach schließlich der „Geist“ eines Menschen, also z.B. sein handwerklich-künstlerischer (2.Mose 28,3) oder sein wirtschaftspolitischer Sachverstand (1.Mose 41,38). Vor allem interessiert uns natürlich, was es mit Gottes Geist im AT auf sich hat. Dabei stoßen wir auf drei Schichten:

Erste Schicht: Grundlagen

Die Frage, ob es schon vor Pfingsten den Heiligen Geist gegeben habe, ist müßig, spricht doch das AT gerade an den fernsten Enden der Geschichte von Gottes Geist und wie er wirkt: Bei der Schöpfung „brütete“ der Geist Gottes über dem Urmeer (1.Mose 1,2 wörtlich übersetzt), d.h. er war an der Schöpfung unmittelbar beteiligt. Als er dem Menschen eingeblasen wurde, begann er zu leben (1.Mose 2,7). Und am Ende der Geschichte schafft Gottes Geist die neue Welt (Jes 32,15) und den neuen Menschen (Hes 37,9). Sein Wirken „umklammert“ sozusagen die Geschichte. Es ist dabei aber nie ein von Gott losgelöstes, eigenständiges Wirken.

Zweite Schicht: Wie Gottes Geist in und durch Menschen wirkt

Im AT handelt es sich vor allem um drei Personengruppen: Richter, Propheten und Könige.

  1. Die Richter waren charismatische Führergestalten der Frühzeit (ca. 1200–1000 v. Chr.), nämlich der Zeit des Übergangs Israels in eine eigene Staatlichkeit. Israels Geschichte war damals durch einen wiederkehrenden Wechsel bestimmt : Abfall von Gott und seiner Verehrung >> Gottes Gericht durch die Nachbarvölker >> Israels Umkehr und Klage >> Gottes rettendes Eingreifen durch einen „Richter“ bzw. eine „Richterin“, deren Gottes Geist sich auf ganz verschiedene Weise bemächtigte. Männer und Frauen waren es, aus verschiedenen sozialen Schichten. Bei allen blieb die Geistergriffenheit ein einmaliges, vorübergehendes Ereignis. Sie führte nicht in ein stetiges Amt. Die Richter wirkten weniger durch ihre Worte, sondern vielmehr durch ihre Taten.
  2. Es ist erstaunlich, dass die (Schrift-)Propheten nur an einer Stelle (Mi 3,8) von sich behaupten, den Geist zu besitzen. Dabei mangelte es gerade bei den frühen Propheten nicht an auffälligen Phänomenen (1.Sam 10,5-12). Sie traten auch in Gruppen auf (2.Kön 2,3 u.ö.). Musik spielte bei ihren Aktionen eine Rolle. Ihre Ekstase war wiederholbar, sie hatte „ansteckenden“ Charakter (1.Sam 19,23), und ihre Wirkung ging vorüber. Bei Richtern und Propheten war „Geist“ eine dynamisch-explosive Kraft, die einen Menschen überfiel und ihn für kurze Zeit zu Aktionen befähigte. Auf Vermittlung einer „Botschaft“ zielte dieses Geisteswirken in der Frühzeit noch nicht. Später trat dann die Ekstase zurück, ja wurde geradezu von einer nüchternen, von Gott geschenkten Tiefenschau der Zustände und Ereignisse verdrängt.
  3. Am Übergang zur Königszeit spielte schon bei Saul der Geist eine Rolle (1.Sam 11,6 <>16,14!) und gewann bei David der Geistbesitz eine gewisse Stetigkeit (1.Sam 16,13), so war mit dem Amt des Königs doch nie automatisch der Geistbesitz verbunden – im Gegenteil. Bald schon musste dem König, der sich von seinen Berufspropheten beraten ließ, der „freie“, von Gott gesandte Prophet als kritische und unbequeme Instanz gegenübertreten. Überhaupt kam es im Volk bald zu einer Desillusionierung im Blick auf die (geistlich-religiösen) Erwartungen, die man an den König hatte. Immerhin galt er ja mit seinem Amtsantritt als von Gott „adoptiert“, als „Sohn Gottes“ (Ps 2,6f). Die Enttäuschung über die real existierenden Könige und ihre mangelnde Geistlichkeit führte zu der Erwartung und Verheißung eines wirklich „geistlichen“ Königs, nämlich des Messias (2.Sam 7,12ff) – womit bereits eine Brücke hinüber ins NT geschlagen ist.

Dritte Schicht: Wie Gottes Geist am Ende der Geschichte wirken wird

Ein Faktor ist schon genannt: In der Person des Messias wird ein mit Gottes Geist Gesalbter zum Heil der Menschen kommen (Jes 11,2; Sach 4,6). Hinzu kommt das geisterfüllte Volk, also die Geistausgießung in der Fläche (Hes 37,5; Joel 3; Ps 5,1).

Wir fassen zusammen:

Gottes Geist ist eine personhafte, schöpferische und lebenserhaltende Kraft, die Veränderungen bewirkt, die Menschen befähigen, bevollmächtigen und verwandeln kann. Er wirkte in Israel besonders in den Richtern, Propheten und Königen. Besonders in der Frühzeit war sein Wirken manchmal mit ekstatischen Zuständen
und Äußerungen verbunden. Am Ende der Geschichte soll er nochmals in besonderem Maße wirksam werden.

Auf der Schwelle zum Neuen Testament

Im Judentum zur Zeit Jesu galt der Geist Gottes als mit dem letzten Schriftpropheten erloschen – ein Zustand, der auch früher schon beklagt wurde (vgl. Ps 74,9!). Das offizielle Israel, besonders die Partei der Sadduzäer, rechnete nicht damit, dass jemand „im Geist Gottes“ wirken könnte und würde. Mitten in diesem geist-losen Zeitalter trieb aber die Sehnsucht nach Geist im Verborgenen, auch im „Esoterischen“ neue Blüten. Dies ist übrigens eine Beobachtung, die wir auch später machen können: Der Verlust der geistlichen Lebendigkeit in der nachreformatorischen Zeit (sog. „Orthodoxie“ im späten 16. und im 17. Jahrhundert) führte mit zur Entstehung des Pietismus; auf die trockene Nüchternheit und Verkopfung der Kirchen in den 60er/70er Jahren des 20. Jahrhunderts folgten charismatische Aufbrüche. Im Judentum des 1. Jahrhunderts entstand die Hoffnung auf ein Geistwirken bei den Essenern, einer jüdischen Sekte, aber auch in sogenannten „Täuferkreisen“ und bei pharisäischen Gruppen. Vom Messias erwartete das zeitgenössische Judentum das Einhalten des Gesetzes, während manche Pharisäer ihn mächtig im Geist regieren sahen. Das bedeutet: Jesu Auftreten, sein Anspruch und seine Botschaft fielen auf in seiner Umgebung (Mt 7,28f).

Der biblische Befund: das Neue Testament

Auch hier untersuchen wir drei Schichten:

Erste Schicht: Jesus und der Geist

An entscheidenden Punkten im Leben Jesu ist vom Geist die Rede:

  1. Jesus selbst ist ein von Gottes Geist Gezeugter (Mt 1,18-23; Lk 1,26-38). Wir verharmlosen dies, wenn wir naturwissenschaftliche Erklärungsversuche machen. Die sog. „Jungfrauengeburt“ des Gottessohnes will ja gerade unser Denkschema durchbrechen!
  2. Als Gottessohn wird Jesus bei seiner Taufe vom Geist bestätigt (Mt 3,16f; Mk 1,9-11; Lk 3,21f). Nur dadurch kann er es verkraften, wenn ihn
  3. der Geist in die Konfrontation mit der widergöttlichen Macht führt (Mt 4,1).
  4. Anders als die Geistbegabten des AT hat Jesus den Geist dauernd (Joh 1,33: „... und auf ihm bleiben ...“). Auch das unterscheidet ihn von den „normalen“ Menschen.
  5. Bei seiner sog. „Antrittspredigt“ in Nazareth beruft sich Jesus programmatisch auf seinen Geistbesitz (Lk 4,18+21) und gibt sich als Gottes Gesalbter („Messias“) zu erkennen.
  6. Auch seine Taten versteht Jesus selbst als ein Wirken „durch den Geist Gottes“ (Mt 12,28).
  7. Wenn auch das Thema „Geist“ außer in den Abschiedsreden des Johannes für Jesus kein Hauptelement seiner Verkündigung gewesen zu sein scheint, so hebt er doch dort (Joh 13,31–17,26) den Geist und seine Bedeutung für die Jünger und damit auch für die ganze Gemeinde Jesu aller Zeiten hervor. Seine Wirkung „in“ den Christen ist vergewissernd (Joh 14,17; vgl. Röm 8,16) und offenbarend (Joh 14,26; 16,13). Jesus gibt ihn seinen Jüngern ausdrücklich, aber funktionsbezogen weiter (Joh 20,22). Der Geist ist sich nicht selbst Thema seines Wirkens, sondern er empfängt von Jesus, was er vermittelt, und weist auf Jesus hin (Joh 16,13-15), macht ihn zum Herrn (Joh16,14).
  8. In uns ist er einer, der uns „(von der Seite her) zuspricht“ (so wörtlich für „Tröster“), also einer, der „auf Augenhöhe“ zu uns redet, nicht von oben herab. Das griechische Wort hat ein weites Spektrum: von einfach „reden“ über „zusprechen, ermutigen, trösten“ bis „ermahnen“. Wir müssen darauf achten, dass wir hier nicht zu einseitig werden.
  9. Wichtig ist schließlich das (Mit-)Wirken des Geistes bei der Wiedergeburt, bei der Äußeres und Inneres, Taufe und Glaube zusammenkommen (Joh 3,5 vgl. Tit 3,5).

Zweite Schicht: Der Geist in der frühen Christenheit

In Apg 1,8 entfaltet Lukas mit den Worten Jesu das Missionsprogramm, das für ihn auch den Grundriss seiner Apostelgeschichte abgibt: „Ihr werdet die Kraft des heiligen Geistes empfangen, der auf euch kommen wird, und werdet meine Zeugen sein in Jerusalem und in ganz Judäa und Samarien und bis an das Ende der Erde.“ Machen Sie sich die Freude und schlagen Sie mit Hilfe der Konkordanz die Stellen nach, in denen der „Geist“ in der Apg vorkommt!
Geistempfang ist also fest gebunden an eine Aufgabe, nämlich die der Bezeugung des Evangeliums. Von hier aus ist es nur verständlich, dass Lukas den Geist als den zentralen Motor und Lenker der jungen Christenheit darstellt:

  1. Er „inspiriert“ zur Verkündigung, etwa an Pfingsten in Jerusalem (Apg 2,4).
  2. Er lässt die Gemeinden wachsen, etwa in Galiläa, Judäa und Samarien (Apg 9,31).
  3. Er leitet auch die Einzelnen, etwa Philippus (Apg 8,29) oder Paulus (Apg 16,6).
  4. Er bezeugt Christus, die Auferstehungsbotschaft und damit das Evangelium (Apg 5,32).
  5. Er setzt in Gemeindeämter ein (Apg 20,28).
  6. Er öffnet den Blick für die Zukunft (Apg 20,23).

Dritte Schicht: Der Geist in den Paulusbriefen

Welche zentrale Stellung Gottes Geist für Paulus hat, wird z. B. darin deutlich, dass der Apostel sich in Röm 8 ausführlich mit ihm befasst. Hier entfaltet er, wie der Geist das Leben der Christen gestaltet – das Leben der Christen, von deren Zerrissenheit er in Kapitel 7 geschrieben hatte. Offenbar folgt aus ihr gerade nicht eine Ungewissheit darüber, wie sie zu Gott stehen. Es gibt Gewissheit im Blick auf unsere Beziehung zu Gott, also Heilsgewissheit. Einige Akzente:

  1. Objektiv betrachtet ist die Tatsache, dass Christen den Geist „haben“, eine Vorwegnahme des Heils, das uns sichtbar erwartet. Paulus spricht vom Geist als der „Erstlingsgabe“. Das griechische Wort hat aber auch die anschauliche Bedeutung „Geburtsurkunde“, meint also eine (amtliche) Bescheinigung der Abstammung und Zugehörigkeit.
  2. Schon im Galaterbrief (5,25) spricht er von dem Geist als dem schlechthin lebensbestimmenden Faktor der Christen: „Wenn wir im Geist leben, so lasst uns auch im Geist wandeln!“ „Leben im Geist“ ist also zunächst ganz schlicht ein Umsetzen dessen, was wir durch Christus sind (nämlich „eine neue Kreatur“ (2.Kor 5,17), in konkrete Lebensvollzüge. Der Theologe Rudolf Bultmann (hier hatte er recht!) hat diesen Satz des Paulus aus Gal 5,25 zur Grundlage seiner Ethik (Nachfolgelehre) gemacht. „Leben im Geist“ heißt nicht, zunächst die Geistesgaben zu kultivieren, sondern nach Gottes konkretem Willen im Alltag zu fragen – und ihn zu tun. In Röm 8,3ff stellt er dem „fleischlich gesinnt Sein“ das „geistlich gesinnt Sein“ gegenüber. Das ist also die Alternative.
  3. Zum Werk des Geistes in uns gehört nicht nur die Vergewisserung des Heils (Röm 8,16), sondern auch, dass er unserem Leben Impulse gibt (Röm 8,14).
  4. Schließlich spielt der Geist durch besondere Gaben, die er gibt, und im Gottesdienst eine besondere Rolle. In der Auseinandersetzung mit den Korinthern hat Paulus das durchbuchstabieren müssen – wie gut, sonst tappten wir hier im Dunkeln! „Grundwort Geist“ – es konnten holzschnittartig nur einige Striche gezeigt werden aus dem Vielen, was die Heilige Schrift uns über Gottes Geist sagt. Die Texte aus dem Johannesevangelium, die Anfang des Jahres (samt Text an Pfingsten) betrachtet wurden, führen von der Weite ins Detail.

Dekan Dr. Heinz-Werner Neudorfer, Marbach am Neckar