Erwählung

In unserer Jungschar gibt es manchmal Augenblicke, die sind wie Weihnachten. Da haben die Jungen sich angestrengt, z.B. beim Stadtspiel. Sie sind durch die Straßen gerannt, haben sich die Lungen aus dem Leib und die Beine in den Leib gerannt. Am Ende hat eine Mannschaft gewonnen. Jeder der Sieger darf sich dann aus einem großen Rucksack etwas auswählen: Spielzeuge, aber auch nützliche Gebrauchsgegenstände. Sie können sich sicher diese Situation vorstellen. An ihr nämlich können wir uns bewusst machen, was „Erwählung“ bzw. „erwählen“ heißt.

I. Wortbedeutung

Anhand des Jungen – nennen wir ihn Hans – können wir uns die Bandbreite der Bedeutung des Wortes „Erwählung“ klar machen.

1. Jemand entscheidet sich.
Hans schaut sich die Gegenstände an, und dann entscheidet er sich. Auf Grund von verschiedenen Möglichkeiten hat er sich für eine Sache entschieden – anders ausgedrückt: Er hat den Gegenstand erwählt.

2. Jemand ruft heraus.
Hans greift zu und zieht aus dem Rucksack den einen Gegenstand heraus. Dieser Vorgang trifft im Neuen Testament das gebräuchlichste Wort für erwählen: eklegomai = herausrufen.

3. Jemand findet Gefallen.
Ein anderer Junge war nur Zweiter geworden. Liebend gerne will er mit Hans tauschen. Dieser aber hat Gefallen gefunden an seiner Wahl und lehnt den Tausch ab. Im Hebräischen steht für das Wort „erwählen“ meist bachar. Hier schwingt die Bedeutung „Gefallen haben“ (Jes 58,6), „begehren“ (2.Sam 19,39), ja sogar „kostbar“ und „erlesen“ (Spr 8,10 bzw. 19) mit.

4. Verbundenheit zwischen Erwähler und Erwähltem.
Hans lässt seinen ausgewählten Gegenstand nicht mehr aus den Augen. Oft gibt er ihn noch nicht einmal aus der Hand. So entsteht zwischen beiden, dem, der ausgewählt hat, und dem Gegenstand eine Beziehung. Bei Hans mag dies vielleicht nicht lange andauern. Wenn es aber z.B. um die „Erwählung“ des Ehepartners geht, dann wird deutlich, wie eng die Verbindung zwischen beiden wird. Denn es kommt der Begriff der Liebe hinzu. Der erwählte Ehepartner ist der geliebte Mensch.

II. Wer wird in der Bibel erwählt?

1. Gott erwählt Personen.
Die Bibel beschreibt immer wieder Vorgänge, wo einzelne Menschen von Gott erwählt werden. Uns begegnen z.B. Noah (Gen 6,5ff), Abraham (Neh 9,7; Jes 41,8), Mose (Ps 106,23) oder auch Aaron (Ps 105,26).
Wie bedeutsam der Begriff der „Erwählung“ ist, zeigt sich daran, dass auch der „Knecht Gottes“ erwählt ist (Jes 42, 1). Und mit Knecht Gottes ist der Messias, nach unserem christlichen Verständnis also Jesus Christus selbst, gemeint.

2. Gott erwählt Personengruppen.
Es ist für uns klar, dass Gott einzelne Menschen erwählt. Aber es muss uns deutlich werden, dass Gott nicht nur einzelne Menschen, sondern auch ganze Gruppen erwählt hat. Es geht also nicht um die Perfektion des einzelnen Menschen, sondern auch eine Gruppe mit unterschiedlichen – auch im Glauben unterschiedlichen -Menschen wird von Gott erwählt. Beispiele dafür sind die Gruppe der Priester (5.Mose 18,5; 1.Chr 15,2; 2.Chr 29,11) oder auch die der Könige (1.Sam 10,24; 2.Sam 6,21; 1.Chr 28,4ff).

3. Gott erwählt das Volk Israel.
Neben Personen und Personengruppen hat Gott sich ein Volk erwählt: das Volk Israel. Gott hat es berufen, ausgesondert und errettet. Typisch dafür steht die Rettung aus der ägyptischen Gefangenschaft. Mit einer festen Redewendung wird dies in den einzelnen Büchern der Bibel immer wieder erwähnt: Der Gott, „der dich aus Ägyptenland geführt hat...“. Besonders deutlich wird dies in 5.Mose 4,20. Hier wird das „sein Volk sein“ und das „Herausführen“ in enge Gemeinschaft gestellt.

4. Die Gemeinde Jesu.
Während im Alten Testament die Erwählung auf dem Volk Israel liegt, weitet das Neue Testament diese Erwählung aus: Das neutestamentliche Volk Gottes sind diejenigen, die Jesus Christus als ihren Herrn angenommen haben und mit ihm leben (Mk 13,20ff; Kol 3,12 und 2.Tim 2,10).
Hat mit der Erwählung der neutestamentlichen Gemeinde die Erwählung des Volkes Israel aufgehört? Nein! Gott hat Israel nicht verstoßen. Er widerruft seine Erwählung nicht! Sie zeigt sich darin, dass ein Rest des Volkes Israel an Jesus Christus glaubt und damit mit dem Heil verbunden ist.
Das Volk Israel und die neutestamentliche Gemeinde Jesu haben die folgenden Grundsätze der Erwählung gemeinsam.

III. Grundsätze von Erwählung

1. Erwählung ist der Ausdruck der Weltherrschaft und Souveränität Gottes
Gott ist der Schöpfer. Deshalb kann und darf Gott erwählen. Er stellt mit der Erwählung von Menschen, Gruppen oder seinem Volk seine Macht heraus (Röm 9,22ff). Gott ist Schöpfer, der Mensch dagegen ist Geschöpf.
Gott kann einen Menschen oder sogar ein Volk zu seinem Eigentum machen (2.Mose 19,6), weil alle Völker (alle Menschen) ihm gehören (Am 3,2). Diese Erwählung bezieht sich nicht nur auf Menschen und Sachen, auch die Zeit gehört Gott. Deshalb kann er sich den Sabbat als Tag des Ruhens erwählen, und er allein erwählt den Tag der Wiederkunft Jesu.
Erwählung bedeutet: Gott ist einzigartig und heilig!

2. Erwählung ist der Ausdruck der freien Barmherzigkeit Gottes
Hans aus der Jungschar kann Gründe nennen, warum er sich diesen Gegenstand ausgesucht hat. Es sind die Vorzüge, die Qualitäten, die ihn auswählen ließen. Die Bibel antwortet auf die Frage „Warum ausgerechnet Israel? Warum ausgerechnet dieser Mensch?“ nicht mit den Vorzügen oder Qualitäten des Erwählten. Im Gegenteil! Es gibt keinen „vernünftigen“ Anlass.
Beispiele machen dies deutlich:

  • 5.Mose 7,7:
    „Nicht hat euch der HERR angenommen und euch erwählt, weil ihr größer wäret als alle Völker - denn du bist das kleinste unter allen Völkern.“
  • 5.Mose 9,6:
    „So wisse nun, dass der HERR, dein Gott, dir nicht um deiner Gerechtigkeit willen dies gute Land zum Besitz gibt, da du doch ein halsstarriges Volk bist.“
    Was ist aber dann der Grund? Auch das beschreibt die Bibel:
  • 5.Mose 7,8:
    „...sondern weil er euch geliebt hat und damit er seinen Eid hielt, den er euren Vätern geschworen hat. Darum hat er euch herausgeführt mit mächtiger Hand und hat dich erlöst von der Knechtschaft, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“
  • 5.Mose 9,5:
    „Denn du kommst nicht herein, ihr Land einzunehmen, um deiner Gerechtigkeit und deines aufrichtigen Herzens willen, sondern der HERR, dein Gott, vertreibt diese Völker um ihres gottlosen Treibens willen, damit er das Wort halte, das er geschworen hat deinen Vätern Abraham, Isaak und Jakob.“
  • 5.Mose 10,14.f: „Siehe, der Himmel und aller Himmel Himmel und die Erde und alles, was darinnen ist, das ist des HERRN, deines Gottes.“
    „Und doch hat er nur deine Väter angenommen, dass er sie liebte, und hat ihre Nachkommen, nämlich euch, erwählt aus allen Völkern, so wie es heute ist.“
    Der Grund ist Treue zu seiner Verheißung und seine Liebe zu seinem, d.h. dem erwählten Volk. Es ist seine freie barmherzige Entscheidung, die ihn zu dieser Erwählung veranlasst. So sind die von ihm Erwählten oft nicht die Starken, sondern Arme, Schwache, Schuldiggewordene und Unterprivilegierte. (1.Kor 1,26,ff und Jak 2,5). Beispiele dafür sind der Flüchtling Mose, der Hirtenknabe David, der einfache Fischer Petrus und Paulus, der Verfolger der Gemeinde Jesu.
    Erwählung ist Ausdruck der starken Verbundenheit!
    Das wird besonders dort deutlich, wo Jesus als der auserwählte Sohn Gottes bezeichnet wird (Lk 9,35).

3. Erwählung ist Erwählung zum Dienst
Mit der Erwählung gibt Gott gleichzeitig eine Aufgabe (5.Mose 4,37ff und 10,12ff).
So bekommt Abraham mit seiner Verheißung den Auftrag, er solle „zum Segen werden für alle Geschlechter auf Erden“ (1.Mose 12,3). Wer erwählt wurde, wird zum Zeugen der Einzigartigkeit Gottes: Jes. 43,10.12; 44,8 und 45,4ff. Die Erwählung darf aber nicht zur Überheblichkeit führen. Erwählte haben zu dienen! So ist Paulus ein auserwähltes Werkzeug Gottes für die Heidenmission (Apg 9,15), die christliche Gemeinde das „auserwählte Geschlecht“ zur Bezeugung der „herrlichen Taten Gottes“ (1.Petr 2,9).
Weil die Erwählten eine besondere Stellung haben, werden sie auch besonders zur Verantwortung gezogen (Am 3,2).
Erwählung beinhaltet eine Aufgabe

4. Erwählung ist der Trost und die Hoffnung der Gemeinde
Wer die Erwählung recht versteht, wird den Trost und die Hoffnung, die wir in der Erwählung angeboten bekommen, bewusst machen können. Gerade in der Babylonischen Gefangenschaft wurde dies dem Volk Israel neu bewusst. „Wir sind erwählte Gottes!“ Im Buch Jesaja ab Kapitel 40 wird zur tragenden Aussage: „Fürchte dich nicht, Israel, das ich erwählt habe...“ (Jes 41,8f und 44,1). Trotz des Versagens des (erwählten) Volkes hält Gott an seiner Erwählung fest und steht treu zu Israel.
Der Erwählte darf getrost in die Zukunft schauen! Gott zwingt niemanden

5. Die Erwählung wird von Gott nicht zurückgenommen Jedoch kann sie verspielt werden.
Dann, wenn die Erwählten den Auftrag nicht erfüllen, der ihnen von Gott gegeben wurde, bzw. wenn sie im Alltag der Erwählung nicht entsprechen (z.B. Saul). Wer als Erwählter Gott nicht gehorcht, darf sich nicht wundern, wenn Gott seinen Auftrag zurücknimmt (2.Kön 21, 14 und 23, 27; Ps 78,59f 67f und Jer 33,24ff.). So bekommt Israel vorgehalten, dass es die große Möglichkeit, die es mit der Erwählung angeboten bekam, vertan hat (Hes 20,5ff).
Erwählung kann vom Erwählten verspielt werden

6. Was ist mit den Nicht-Erwählten?
Die Gefahr ist, dass wir Menschen in Erwählte und Nicht-Erwählte aufteilen. Dies ist aus doppeltem Grund nicht richtig. Zum einen ist es nicht unsere Aufgabe, Menschen in diese Kategorien einzuteilen. Das ist Gott dem Schöpfer vorbehalten. Zum anderen bedeutet aber die Erwählung nicht gleichzeitig, dass der Nicht-Erwählte verworfen sei. Wenn Gott die Person X erwählt, dann bedeutet dies nicht, dass automatisch Gott der Person Y gegenüber sein „Nein“ ausspricht. Im Gegenteil, der Erwählte hat die Aufgabe, das Heil den vielen zu bringen.
Der Gegensatz von „erwählt“ ist nicht „verworfen“!

7. Erwählung darf nicht zu Stolz und frommer Überheblichkeit führen
Genauso wie der Glaube, das Gerettetwerden oder auch Gottes Mitarbeiter zu sein nicht eigener Verdienst ist, ist auch die Erwählung nicht eigener Verdienst. Allein aus Gnade – so hat Luther gesagt – sind wir erwählt. Paulus macht deutlich, dass wir als Erwählte Bewahrte und Gehaltene sind (vgl. Röm 8,30.33).
Es kann und darf kein Stolz aufkommen, denn die Erwählten bedürfen der Vergebung und Hilfe Gottes. Paulus macht dies an verschiedenen Stellen deutlich:

  • 1.Kor 1,26ff:
    „Seht doch, liebe Brüder, auf eure Berufung. Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Angesehene sind berufen. (27) Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache; und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; (28) und das Geringe vor der Welt und das Verachtete hat Gott erwählt, das, was nichts ist, damit er zunichte mache, was etwas ist, (29) damit sich kein Mensch vor Gott rühme.“
  • Joh 15,16:
    „Nicht ihr habt mich erwählt, sondern ich habe euch erwählt...“
    Erwählung darf nicht zur Überheblichkeit führen!

8. Erwählung führt zur Anbetung
Die richtige Reaktion auf Gottes freie Erwählung ist, Gott zu loben, ihm zu danken und ihn zu preisen. Nicht umsonst hat Paulus ans Ende seines Abschnittes über Israel (Röm 9-11) den „Lobpreis der Wunderwege Gottes“ gesetzt (Röm 11,33ff). Hier wird deutlich, dass Erwählung zum Loben Gottes führen muss und nicht zum Selbstruhm des Menschen. Genauso nimmt auch Eph 1,3 diesen Lobgesang auf, um in Vers 4 fortzufahren „denn in ihm (Christus) hat er uns erwählt...“.
Das echte Lob Gottes schützt uns vor dem falschen Stolz und Überheblichkeit.
Die Antwort auf Erwählung ist der Lobpreis Gottes

9. Was hilft mir die Erwählung?
Sie führt mich zur Dankbarkeit und Freude. Sie schenkt mir Hoffnung für meine Zukunft und Gewissheit, in Gottes Armen sicher geborgen zu sein. Und das Wissen um meine Erwählung führt mich in die Demut: Gott ist es, der in mir beides wirkt: das Wollen und das Vollbringen! (nach Phil 2,13).
Erwählung ist ein Geschenk Gottes an mich!

Gottfried Holland