Ermahnung

Vorgeschlagene Texte:

Apg. 20,17ff: Die Abschiedsrede des Paulus an die Ältesten von Ephesus
1.Thess. 5,12-24: Ermahnung und Grüße
1.Sam. 2,12ff: Die Bosheit der Söhne Elis

Ermahnung - ermahnen - der Begriff

1. Ermahnung als Begriff im Alltag

„So was tut man nicht!“ - „Lass das!“ – „Geh davon!“ Und wenn das alles nichts hilft, dann kommt es vielleicht zu dem resignierenden Satz: „Sie müssen selbst ihre Erfahrungen machen! Sie wollen einfach nicht auf die Erfahrungen der Älteren hören!“
Kennen Sie das? Wie oft haben Sie das schon Ihren Kindern gesagt. Haben sie gebeten, ermahnt, geschimpft.
„Wer nicht hören will, muss fühlen!“ – ist der Volksmund Weisheit letzter Schluss.“ Ist das aber auch der letzte Schluss unserer Weisheit? Soll es denn dabei bleiben? Wir wollen doch unsere Kinder nicht ins Unglück rennen lassen. Unsere Ermahnungen sind doch Zeichen von Fürsorge und Liebe.
Ermahnung: Reizwort in der Familie – Unwort in der Gesellschaft – Grundwort in der Bibel. Ermahnung richtet sich an die, die es besser wissen müssten, die die Spielregeln kennen, die das Wissen haben, die also manches tun oder lassen wider besseren Wissens.
„Man weiß, wie es geht – aber es geht nicht, was man weiß!“

Ermahnen ist unangenehm. Das hat man nicht gern - das tut man nicht gern. Keinem macht das Freude – weder dem, der ermahnt noch dem, der ermahnt wird.
Das Ziel der Ermahnung ist: Bewahrung vor dem Ausschluss und neue Wegweisung in die Familie, Gesellschaft und Gemeinschaft, in die Gemeinschaft mit Gott und seiner Gemeinde. Mit dem Ermahnten wollen wir gemeinsam ein Ziel erreichen: Es sollen alle in der Gemeinschaft und in der Gemeinde bleiben – bis zum Sieg. Es soll niemand verloren gehen!

2. Ermahnung als biblischer Begriff

Der gebräuchlichste Begriff im NT für Ermahnen hat eine große Vielfalt. Er kann bedeuten: anflehen, bitten, auffordern, zureden und trösten. Ermahnung soll den ganzen Menschen in Bewegung setzen - seinen Verstand, sein Gefühl, seinen Willen, sein Gedächtnis, sein Herz. In Bewegung setzen, anders zu denken, zu handeln und zu sein – wie Gott sich den Menschen gedacht hat.
Das Wort Ermahnung übersetzt die beiden griechischen Wörter para (herbei) und kaleo (rufen). Aus diesen beiden Wörtern abgeleitet ist das Wort Paraklet. Jesus bezeichnet den Heiligen Geist als einen Parakleten, als einen, der herbeiruft, tröstet, ermuntert, zurechtweist, erinnert, hilft, unterstützt.
Die Gabe der Ermahnung ist die Fähigkeit, zurechtzuhelfen und zum Handeln zu bewegen. Für Christen bedeutet sie: „So sind wir nun Botschafter an Christi Statt, denn Gott ermahnt durch uns; so bitten wir nun an Christi Statt: Lasst euch versöhnen mit Gott“ (2.Kor 5,20). Bei aller Unversöhnlichkeit der Christen in Korinth untereinander mahnt Paulus die Versöhnung mit Gott an. Denn der mit Gott Versöhnte kann sich auch mit dem Bruder und der Schwester wieder versöhnen. D.h. über den Sohn Gottes wieder Frieden finden mit Gott und mit dem Mitmenschen. Und der, der sich so versöhnen ließ, darf und kann auch anderen Versöhnung predigen, kann glaubwürdig ermahnen.
Lehre und Ermahnung sind zwei Hauptelemente evangelischer Predigt. Während Lehre mehr auf Erkenntnis und Glauben gerichtet ist, zielt Ermahnen auf den Willen zur Tat ab – ist auf Änderung des praktischen Lebenswandels aus.

Ein biblisches Beispiel: Den umfassendsten biblischen Bericht darüber finden wir in den Abschiedsworten des Paulus an die Ältesten in Ephesus (Apg. 20, 17ff).
Das ist eine bewegende Szene: Von nun an würden sie einander nie mehr sehen. Paulus läßt noch einmal die drei Jahre ihrer Gemeinschaft lebendig werden. Er erinnert sie an das Vergangene – weist in die Zukunft und beschreibt die Gegenwart. Und in V. 31 ermahnt er sie zum letzten Mal und sagt: „Darum seid wachsam und denkt daran, dass ich drei Jahre lang Tag und Nacht nicht abgelassen, einen jeden unter Tränen zu ermahnen.“ – „Und als er das gesagt hatte, kniete er nieder und betete mit ihnen allen“ (V.36).
Biblische Ermahnung ist das zurechtweisende Wort an die Gemeindemitglieder und Mitarbeiter/innen und das wegweisende Wort zu Gott.
Die Ermahnung hat in ihrer Zielsetzung die praktische Anwendung des Evangeliums vor Augen.

3. Ermahnung als seelsorgerlicher Begriff

Ermahnung hat es letztendlich auch immer mit Seelsorge zu tun. Ein Angebot Jesu Christi, sich verändern zu lassen - an Leib, Seele und Geist – am ganzen Menschen zum neuen Menschen. Die Betonung steht auf „lassen“. Lasst euch erretten aus dem verkehrten Geschlecht – lasst euch versöhnen mit Gott.
Das Hilfsangebot kommt von außen – denn von innen ist nichts Gutes zu erwarten. In manchen entscheidenden Fragen des Glaubens und Lebens kann ich mir selbst nicht helfen, sondern muß ich mir helfen lassen!
Wenn Selbsthilfe versagt, ist Fremdhilfe gefragt.
Anstehende Probleme sollen zunächst im Gespräch gelöst werden. Ermahnung bedeutet hierbei Erziehung durch Worte: der Ermunterung, der Erinnerung, des Protestes, der Zurechtweisung, des Tadels. Das sind letztendlich alles Worte der Liebe.
Was Änderung bewirken soll, muss ans Herz gelegt werden, damit es ankommt. Und im Herzen kommen Worte der Liebe an. Ermahnung ist also ein Gebot der Liebe. Der Ermahnte soll in die Gnade Gottes eingeschlossen bleiben und nicht aus der Gnade Gottes ausgeschlossen werden.
Beispiele: David wird nach seinem Fehlverhalten – nach seiner Sünde – an Uria und mit Bathseba durch Nathan zurechtgewiesen (ermahnt) (2.Sam 12,1-14).
Recht und Unrecht wird gegenüber gestellt, Glauben und Leben in Frage gestellt!
Jesus richtet nach seiner Auferstehung Petrus wieder auf (Joh 21,15-19). Dreimal fragt ER ihn: „Hast du mich lieb?“ Ermahnung als Erziehung. Dreimal sagt ER ihm: „Weide meine Schafe!“ Ermahnung als Ermunterung!
Und beide, David und Petrus, sind wieder in die Gnade Gottes eingeschlossen, von der sie sich selbst auszuschließen drohten.

Ermahnung – ermahnen – die Anwendung

1. Versäumte Ermahnung

Eine Unterlassung mit Folgen (1.Sam 2,12-25; 3,13; 4,17) - die Geschichte des Priesters Eli mit seinen Söhnen.
Das Versagen Elis bestand darin, dass er es versäumte, seine Söhne ermahnend zurechtzuweisen. „Denn ich (Gott) hab’s ihm angesagt, dass ich sein Haus für immer richten will um der Schuld willen, dass er wußte, wie sich seine Söhne schändlich verhielten, und ihnen nicht gewehrt hat“ (1.Sam 3,13). Eli weiß also darum – aber er schert sich nicht darum. Er unterließ es, früh genug, streng genug und ernst genug mit seinen Söhnen zu reden, um die notwendige Veränderung in ihnen zu bewirken. Zwar finden wir in 1.Sam 2,22-25 den Bericht über einen schwachen Versuch, der aber zu spät kam und dann wirkungslos blieb. Typischerweise fragt Eli seine Söhne: „Warum tut ihr solche bösen Dinge, von denen ich höre im ganzen Volk?“
Bemerkenswert ist, dass Eli, als er endlich zu seinen Söhnen sprach, mit einem verhängnisvollen „Warum“ begann. „Warum tut ihr solche bösen Dinge...“? „Warum“ mag mehr auf eines seiner Versäumnisse als Vater hinweisen. „Warum“ ist immer vorwurfsvoll. Eli wirft seinen Söhnen letztendlich sein eigenes Versäumnis vor! Er weist von sich weg und auf anderes und andere hin.
Eli hätte besser nach dem „Was“ fragen sollen. Alle Gründe, die ein zu Ermahnender kennen muß, können klar im „Was“ verdeutlicht werden.
„Was wurde getan?“ „Was muß getan werden?“ – um es in Ordnung zu bringen. „Was ist im Wiederholungsfalle zu tun?“
Wichtig bleibt, dass das „Was“ angesprochen wird! Unterlassene Ermahnung ist unterlassene Hilfeleistung! Wer das Ermahnen versäumt – versäumt die Retterliebe!

2. Praktizierte Ermahnung

2.1 Eine Pflicht für Verantwortliche (1.Thess 5,12-24)

Der letzte Abschnitt im Brief des Paulus an die Thessalonicher ist überschrieben mit „Ermahnung und Grüße“ von Paulus, Silvanus (Silas) und Timotheus als Absender. Ihre Ermahnungen erreichen die junge Gemeinde im Alltag ihres Christenlebens.
Dieser Abschnitt könnte überschrieben werden: Auf dem Weg zum Frieden.
Dieser Weg ist gepflastert mit Ermahnungen, und dieses Pflaster wird zusammengehalten mit dem Mörtel der Liebe: „Wir bitten euch aber, liebe Brüder...“
Paulus entfaltet hier einen kleinen Katechismus des Ermahnens und stellt dazu 4 Fragen:

1. Was können wir für die Verantwortlichen tun?
Habt die Verantwortlichen lieb (V.12-13a), denn ...

  • sie arbeiten an euch (erkennen, was sie tun)
  • sie arbeiten für euch (erkennen, für wen sie was tun)
  • sie stellen sich vor euch (erkennen, warum sie was tun)
  • sie ermahnen euch (erkennen, wie sie was tun)

Weil die Verantwortlichen unsere Liebe brauchen – brauchen wir die Ermahnung (Erinnerung), die Verantwortlichen zu lieben!

2. Was können wir für einander tun?
Haltet Frieden untereinander (V.13b-15) und ...

  • weist die Unordentlichen zurecht (Zurechtweisung)
  • tröstet die Kleinmütigen (Trost)
  • tragt die Schwachen (Mittragen, ertragen)
  • seid geduldig gegen jedermann (Ausdauer der Liebe)
  • vergeltet nicht Böses mit Bösem (Vergebung)
  • jagt allezeit dem Guten nach (Zielerreichung/Sieg)

Weil wir Frieden untereinander brauchen – brauchen wir die gegenseitige Ermahnung (Unterstützung), Frieden zu halten!

3. Was können wir für uns selbst tun?
Habt Frieden mit euch selbst (V.16-22), das bedeutet ...

  • seid allezeit fröhlich (Grundstimmung des Herzens)
  • betet ohne Unterlass (Abstimmung nach dem Willen Gottes)
  • seid dankbar in allen Dingen (Zustimmung zu Gottes Wegen)
  • dämpfet den Geist nicht (Zustimmung zu Gottes Willen)
  • verachtet prophetische Rede nicht
  • prüfet aber alles (Einstimmung auf das Wesentliche)
  • das Gute behaltet
  • meidet das Böse

Weil wir Frieden mit uns selbst brauchen – brauchen wir selbst die Ermahnung (Trost), den inneren Frieden zu haben und zu behalten!

4. Was wird Gott für alle tun?
Der Gott des Friedens aber (V.23-24)

  • heilige euch
  • bewahre euch
  • ist in aller Treue um euch
  • ruft euch
  • wird´s tun für euch

Ermahnungen bringen wieder zurück auf den Weg zum Frieden mit Gott – mit sich und mit den anderen. Frieden erhalten und stiften in der Gemeinde hängt auch von der Verantwortlichkeit der Gemeindeleiter ab, der Ermahnung Raum zu geben.

2.2 Eine Aufgabe für Mitarbeiter (2.Tim 4,1+2)

Paulus ermahnt seinen Mitarbeiter Timotheus, dass er das Ermahnen seiner ihm anvertrauten Gemeindemitglieder nicht vergißt. Ja, dass er Ermahnung predigen soll. Zur Zeit oder Unzeit. D.h. doch jederzeit, denn jetzt ist noch Heils- und Gnadenzeit und damit auch Ermahnungszeit!
Weise zurecht: „Wenn dein Bruder sündigt, so weise ihn zurecht, und wenn es ihn reut, so vergib ihm“ (Mt 18,15). Das Wort der Predigt ist der Hinweis auf Verfehlung und Mangel und die Wegweisung auf Vergebung und Fülle.
Die Ermahnung hat viele Gesichter – aber nur ein Herz, und das ist ein liebendes Herz!
„Will dich nicht Gottes Güte zur Buße leiten?“
Geduld ist gefragt: Ermahnung braucht seine Zeit. Persönliche Seelsorge braucht ihre Zeit der Begleitung. Es geht immerhin um einen Umdenkungs- und Umlenkungsprozess.
Lehre: Wer ermahnt, ohne Belehrung zu geben, der lässt die Wurzel des Irrtums stehen – und bald wird sie wieder neue Blüten treiben. Der Glaube bedarf einer ständigen Korrektur, damit Wachstum entsteht. Gesunde Lehre bedeutet gesundes Wachstum. Predigt und Lehre sind Elemente der Ermahnung und des Wachstums - zur Zeit und zur Unzeit. Das macht uns manchmal Not. Es gibt aber hierbei keine Predigtnot – sondern eher eine Predigernot!

Schlußbemerkungen

Praktizierte Ermahnung ist eine Empfehlung (Gebot) an alle (1.Thess 5,11)
„Darum ermahnt euch untereinander, und einer erbaue den anderen, wie ihr auch tut.“
Ermahnen ist an dieser Stelle mehr als trösten zu verstehen. Bei allen Verfehlungen und allem Versagen im Leben des Einzelnen und in der Gemeinde brauchen wir die Anteilnahme des Bruders oder der Schwester. Die Anteilnahme ist die Liebe – zum Ermahnen, zum Zurechtweisen, zum Trost, zur Erbauung. Einer komme dem anderen mit Liebe zuvor. Denn die Liebe ist das Band, das die Glieder am Leibe Christi zusammenhält.

Abschließend eine kleine Geschichte:

„In einem Supermarkt hat sich vor der Kasse eine Schlange gebildet. Eine ältere Dame bezahlt gerader ihre Waren. Hinter ihr wartet eine junge Mutter mit ihrem kleinen Jungen und einem vollen Einkaufswagen. Der Junge schiebt voller Ungeduld und Übermut seinen Wagen der älteren Dame in die Beine. Einmal übersieht es die Frau höflich. Kann ja mal passieren. Der Junge macht weiter. Da sagt die Dame freundlich zu dem Jungen: „Kannst du das bitte lassen, das tut mir weh!“ Der Junge aber hört nicht auf und schiebt den Wagen wieder und wieder gegen die Beine der Frau. Da wendet sie sich an die Mutter: „Könnten Sie Ihrem Sohn bitte sagen, dass er damit aufhört?“ Die Mutter antwortet frech: „Mein Kind ist antiautoritär erzogen, es weiß alleine, wann es aufhören muß." Die alte Dame ist sprachlos. Und der Junge schiebt weiter den Wagen gegen die Frau. Die junge Mutter lächelt überlegen. Hinter diesen beiden steht ein Mann, der mit seinem Honigglas auch auf das Bezahlen wartet. Er hat alles beobachtet. In aller Ruhe schraubt der Mann das Glas auf und gießt der Mutter den flüssigen Honig über den Kopf und sagt unter dem Beifall der Umstehenden: „Ich bin auch antiautoritär erzogen.!“
Das Verhalten des Jungen und der Mutter spiegelt den großen Irrtum wider: Wir wüßten selber, wann wir aufhören sollen!

Der Bauch gehört uns, der Leib, das Leben, die Zeit, das Geld, der Partner, der Glaube, die Gemeinde, Gott - gehören uns – dann gehört auch die Sünde uns. Und wir meinen zu wissen, wann wir mit der Sünde aufhören müssen.
Wann müssen wir aufhören mit Rüsten und Abtreiben, mit Humangenetik und geklonten Geschöpfen (Menschen?), mit Wirtschaftswachstum und Umweltbelastung, mit Egoismus und Lieblosigkeit, mit Rechthaberei und Besserwisserei, mit Unverbindlichkeit und Eitelkeit, mit ... ?
Wo kommen wir hin ohne Autorität? Wo kommen wir hin ohne die Ermahnung durch die Autorität Gottes – durch den Trost der Liebe untereinander – durch die Zurechtweisung der Lehrer – durch die Erinnerung des Heiligen Geistes an das, was wir einmal gelernt haben?
Wir wissen, wann wir aufhören müssen. Selbst mit dem Leben hören viele auf, wenn sie meinen, es macht keine Freude mehr.
Welch ein Irrtum, auszukommen „ohne!“

Gott möchte uns in seiner Liebe und Weisheit sagen, wann wir aufhören müssen, damit andere, die Gemeinde, wir selbst, ja die ganze Schöpfung nicht zuschanden werden. Dazu braucht es viel (manchmal einer) Ermahnung - mit und ohne Wort. Vielleicht muss uns erst ein Glas Honig über den Kopf geschüttet werden – damit wir wieder am Wort Gottes und seinen Verheißungen und Ermahnungen kleben bleiben.

Harald Kubitza, Schönblick