Markus 15,20b-47

Was am Karfreitag in Jerusalem geschah

Seit dem 4. Jahrhundert ist der zeitliche Ablauf der Karwoche für alle Christen verbindlich vereinheitlicht worden, denn zwei zur Zeit Jesu gleichzeitig gebrauchte Kalender (der normative Mondkalender und der alte priesterliche Sonnenkalender) ließen u.a. darüber einen gewissen zeitlichen Spielraum offen:

Nachdem Jesus mit seinen Jüngern am Abend des Gründonnerstags den Abendmahlssaal einer Herberge verließ (Nr. 1; Mk 14,13-15), gingen sie in den Garten Gethsemane außerhalb der Stadt (Nr. 2; Mk 14,32). Hier wurde Jesus noch in derselben Nacht verhaftet, wovon der junge Johannes Markus, der Verfasser dieses Evangeliums, Zeuge wurde (Mk 14,51f). In der Nacht zu Karfreitag wird Jesus vom Hohen Rat im Palast des Hohepriester Kaiphas verurteilt (Nr. 3; Mk 14,54.66; heute: St. Peter zum Hahnenschrei). Hier ist Jesus nun von allen seinen Jüngern verlassen und teils auch verraten. Bei frühem Tagesanbruch (ca. sechs Uhr morgens) eilen nun die Verkläger zum römischen Statthalter Pontius Pilatus, denn sie selber durften kein Todesurteil vollstrecken. Er residierte im Prätorium, einem alten hasmonäischen Palast, um hier beim Amtssitz zur Festzeit Recht zu sprechen und mögliche Aufstände sofort niederzuschlagen (Nr. 4; Mk 15,8.16). Mit ihrem dreifachen Vorwurf gegen Jesus, er wäre ein Aufständischer, er verböte Steuern zu zahlen und er sehe sich als wahrer König, zwingt die geistliche Obrigkeit Pilatus, Jesus hinrichten zu lassen. Pilatus regierte aber nur über Judäa mit Jerusalem, und so war er froh, Jesus, den er eindeutig für unschuldig hielt, an den ebenfalls derzeit in Jerusalem weilenden Herodes Antipas, der über Galiläa und Peräa regierte, richterlich überweisen zu können. Dieser logierte wohl über die Zeit der bevorstehenden Passahfeierlichkeiten im (zu seiner Kindheitszeit eigenen) Oberen Palast des Herodes (Nr. 5; Lk 23,7). Auch hier beschuldigte der Hohe Rat Jesus heftig. Jesus wird zwar gefoltert und sogar mit einem Purpurmantel verspottet, aber wegen seiner Unschuld wurde auch hier kein Urteil über Jesus gesprochen. So wurde Jesus schließlich wieder zu Pilatus zurückverwiesen. Auch der zweite Versuch des Pilatus, Jesus durch einen Brauch wieder freizulassen, scheitert. Nun sollte sich Jes 53,9 erfüllen: Obwohl Pilatus ausdrücklich keine Schuld an Jesus findet (Mk 15,14), verurteilt er ihn zum Tode. Die an dieser Stelle später erbaute Pilatus-Kirche wurde bald in Hagia Sofia (Heilige Weisheit) umbenannt, um darzulegen: Hier wurde Jesus als die personifizierte Weisheit Gottes von einem heidnischen Richter verurteilt (Nr. 6; Mk 15,16). Jesus wird verspottet und gegeißelt und schließlich zur Hinrichtung geführt. Er ist inzwischen so entkräftet, dass er sein Kreuz nicht mehr tragen kann und darunter zusammenbricht. Ein Vorbeilaufender muss es ihm tragen, dieser und auch seine Söhne werden später Christen, ihre Namen sind der frühen Gemeinde bekannt (Mk 15,21). Auf dem kürzesten Weg wird Jesus durch das Gennath-(Garten-)Tor vor die Stadtmauern geführt (Mk 15,20), vorbei an einer durch Herodes d.Gr. errichteten öffentlichen Grünanlage im früheren Steinbruch der ersten jüdischen Könige zu einem stehen gebliebenen Steinquader, der wegen seiner Brüchigkeit für den Bau als unbrauchbar angesehen wurde und deshalb wie ein Podest stehen blieb: der Golgatha-(Schädel)-Hügel (Nr. 7; Mk 15,22). Hier wurde Jesus neben zwei Verbrechern ca. neun Uhr morgens gekreuzigt. Er muss durch diese Hinrichtungsart unvorstellbar gelitten haben. Mittags kommt es zu einer Sonnenfinsternis, gegen drei Uhr stirbt Jesus mit dem Ausruf von Ps 22,2: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Noch vor dem Abend muss Jesus notdürftig in einem ganz in der Nähe befindlichen neuen, gespendeten Felsengrab beigesetzt werden (Nr. 8; Mk 15,46; beides heute: Grabeskirche).

Karfreitag verstehen
· Der Evangelist bekennt: Jesus ist der lang ersehnte Messias, mit ihm ist die Heilszeit angebrochen (Mk 1,15). Weil aber Jesus in menschlicher Niedrigkeit auftrat, ist sein Geheimnis weder von den Juden noch in vollem Umfang von seinen eigenen Jüngern zu seiner Lebzeit begriffen worden (Mk 6,4; 8,17-21; 14,26-31). Der erste Heide, der das Geheimnis Jesu erkannte, ist der Hauptmann unter dem Kreuz (Mk 15,39). So schließt sich ein Kreis. In diesem Hauptmann sieht Markus, der „sein“ Evangelium für Heiden in Rom schrieb, die Heidenkirche beim Kreuz Christi vertreten, welche er im Glauben stärken und ermutigen wollte, auch in Verfolgungen treu zu bleiben.
· Das Evangelium zeigt die Leiden Jesu als Knecht und Lamm, aber auch den Gehorsam zum Vater und die Liebe zur gefallenen Menschheit. Jesus trinkt den bitteren Kelch (Mk 14,36) um Verlorene zu retten, hierbei erfüllt sich in ganzer Tiefe Jes 53 und Phil 2,6-8. Jesus erniedrigte sich selber: Geburt in einen Futtertrog als Heimatloser, Taufe an der tiefsten Stelle der Erde als Sündloser, Verurteilung durch Geistlichkeit und Heiden als Schuldloser und Tragen der ganzen Sünde als Gottloser.
· Eine Hauptaussage in Mk (10,45): „Denn der Sohn des Menschen ist nicht gekommen, um bedient zu werden, sondern um zu dienen und sein Leben zu geben als Lösegeld für viele“ (vgl. Mk 14,24). Darin liegt die wahre Größe des Gottesknechtes, sein Leben zu geben, damit alle die Möglichkeit erhalten, wieder zu leben - in einem göttlichem Leben. Das haben bereits die Propheten des Alten Bundes geweissagt. Ist uns bewusst, wie unendlich teuer und wertvoll diese Gabe Jesu ist?

Fragen zum Gespräch:
· Warum stieg Jesus nicht vom Kreuz, um seine göttliche Macht den Spöttern zu demonstrieren?
· Welche Folgen hat die Hingabe Jesu am Kreuz für uns und unsere Gemeinschaft?

Oliver-Michael Oehmichen, Creglingen