Berufen – beauftragt – begeistert! Gedanken zu Apostelgeschichte 9 und zur Berufung heute

In Apostelgeschichte 9,1–31 beschreibt Lukas nicht nur, wie Paulus bekehrt und berufen wird, sondern auch wie durch Gottes Handeln Menschen, Situationen und die Gemeinde total verändert und buchstäblich auf den Kopf gestellt wird.

1. Die Gemeinde Jesu wird verfolgt und soll ausgerottet werden (V. 1+2).
Aber: Die Gemeinde Jesu lebt im Frieden und wächst (V. 31).
2. Saulus hat zur Vernichtung derer auf dem neuen Weg die Vollmacht vom Hohenpriester (V. 1+2).
Aber: Gott hat die Allmacht und beruft den Verfolger zum Zeugen (V. 3–5).
3. Saulus hat den Überblick und Weitblick, was theologisch richtig und was verwerflich ist (Apg 7,59 + 8,3).
Aber: Jesus zeigt ihm seine innere Blindheit und gewährt ihm Einblick in die Herrlichkeit der Gnade (V. 3).
4. Saulus sieht nun nicht einmal den nächsten Schritt und muss nach Damaskus geführt werden (V. 8).
Aber: Der gnädige Gott öffnet ihm nach drei Tagen durch die Handauflegung des neuen Bruders die Augen (V. 18).
5. Hananias und auch die Gemeinde in Jerusalem (V. 26) können es nicht glauben, dass Gott einen solchen Menschen bekehren und berufen kann. Für sie ist klar: Wolf bleibt Wolf (V. 13+14).
Aber: Gott bekehrt das Herz des Hananias und auch das Denken der Apostel in Jerusalem zu dem neubekehrten Paulus. So entsteht Bruderschaft und die Gemeinde allein aus Gnaden (V. 17+27–28).
6. Saulus hat mächtige Freunde. Gemeinsam wollen sie den Tod der Christen (V. 1+2).
Aber: Jetzt sind die ehemaligen Freunde mächtige Feinde, die Paulus töten wollen (V. 23–24+29).
7. Saulus war überzeugt: Jesus ist, wie alle Gotteslästerer, in der Nacht des Todes und hat nichts mehr zu sagen.
Aber: Plötzlich ist er vom Licht des Auferstandenen „umleuchtet“ und hört, wie der Lebendige mit ihm spricht: „Ich bin Jesus, den du verfolgst“ (V. 3–6).

Vom Verfolger zum Apostel
„Saulus aber schnaubte noch mit Drohen und Morden gegen die Jünger des Herrn“ (9,1).
Saulus fühlt sich aufgrund seiner theologischen Kenntnis berufen und verpflichtet, die Gemeinde Jesu zu zerstören. Er hat den unerschütterlichen Glauben der Jünger gesehen, und ihm ist klar: Jetzt muss gehandelt werden. Theologisch diskutieren, die Anhänger des neuen Weges belehren oder widerlegen, nützt nichts. Die lassen sich, wie Stephanus, lieber töten, als diesem Jesus abzuschwören. Lukas beschreibt mit kräftigen Worten, was von diesem Mann ausströmte – Mordgedanken und Drohgebärden.

„Saulus ging zum Hohenpriester und bat um Vollmacht…“ (9,1+2).
Saulus geht nicht zur römischen Obrigkeit, sondern zum religiösen Oberhaupt. Nicht die heidnischen Machthaber aus Rom sollten hier handeln und urteilen. Diese Christen zu vernichten war eine heilige Pflicht für den gesetzestreuen Juden.

„Als er aber auf dem Wege war und in die Nähe von Damaskus kam, umleuchtete ihn plötzlich ein Licht vom Himmel, und er fiel auf die Erde und hörte eine Stimme, die sprach zu ihm: Saul, Saul, was verfolgst du mich?“ (9,3+4).
Der Auferstandene stellt sich Saulus in den Weg. So schützt Christus seine Gemeinde und zugleich den Saulus vor sich selbst. Da war kein Evangelist, der mit Vollmacht den Paulus bekehrte. Diese Berufung war nicht das Ergebnis vieler guter Predigten – Christus selbst hat ihn bekehrt und zum Zeugendienst berufen (Gal 1,1).
Der doppelte Ruf „Saul, Saul“ warnt Paulus eindringlich. Denn nun wird deutlich, Saulus verfolgt nicht nur ein paar Menschen mit einem neuen Glauben, er verfolgt Jesus selbst. Der, der gekreuzigt worden war, trat ihm entgegen. Das bedeutet, die Christen haben Recht: Jesus lebt, Jesus ist auferstanden! Das Licht der Auferstehung umhüllt Paulus, und in diesem Augenblick stirbt Saulus. Er war am Ende. Aber es war ein Sterben zum Leben.

„Er aber sprach: Herr, wer bist du? Der sprach: Ich bin Jesus, den du verfolgst. Steh auf und geh in die Stadt. Da wird man dir sagen, was du tun sollst“ (9,5+6).
Das Alte ist vergeben und vergangen. Nun kennt Paulus den Christus und hat die Gnade erlebt. Jesus gibt dem Paulus Zukunft. In der Stadt wird ihm gesagt werden, was er von nun an tun soll. So schickt Paulus den Neubekehrten zur Gemeinde. Dort wird er die weitere Weisung erhalten. Damit war für Paulus von Anfang an klar: Ich bin und darf kein Solo-Christ sein – ich brauche die Gemeinde, und die Gemeinde braucht mich. Paulus wurde auf eine ziemlich einmalige Weise bekehrt. Aber er wird zur Gemeinschaft und zum Dienst berufen.

„Die Männer aber, die seine Gefährten waren, standen sprachlos da, denn sie hörten zwar die Stimme, aber sahen niemanden“ (9,7).
Hier wird deutlich: Das Gespräch Jesu mit Paulus war nicht nur ein innerer Vorgang, sozusagen eine innere Stimme, die er sich ja auch hätte einbilden können. Die Gefährten hörten mit, jedoch ohne zu verstehen, was da geschah.

„Und Hananias ging hin und kam in das Haus und legte die Hände auf ihn und sprach: Lieber Bruder Saul, der Herr hat mich gesandt, Jesus, der dir auf dem Wege hierher erschienen ist, dass du wieder sehend und mit dem heiligen Geist erfüllt werdest. Und sogleich fiel es von seinen Augen wie Schuppen. Und er wurde wieder sehend, und er stand auf, ließ sich taufen und nahm Speise zu sich und stärkte sich“ (9,17–19).
Gebeugt und blind wurde er nach Damaskus hineingeführt. Drei Tage musste er warten, bis der Bruder kam, ihm im Auftrag Gottes die Augen öffnete, ihn taufte und Paulus mit dem Heiligen Geist erfüllt wurde. Warten müssen und nichts aus sich selbst heraus tun zu können, war für Paulus sicher anstrengend. Aber er hatte ja die Zusage Jesu: „In der Stadt wird man dir sagen, was du tun sollst.“ Durch den Gottesboten Hananias war der Wandel endgültig vollzogen: Paulus war nicht länger ein Verfolger, sondern ein Apostel Jesu Christi.

Berufen zum schönsten Beruf der Welt
Wir verkündigen nicht uns selbst, sondern rufen der Welt zu: „Christ, der Retter, ist da!“ - und „Jesus hat alles am Kreuz vollbracht.“ Wir zeigen der Welt und dem Tod das Osterlachen. Wir haben die schönste, die beste, die befreiendste und fröhlichste Nachricht der Welt weiterzusagen. So sind wir als Berufene Nachrichtensprecher des allmächtigen Gottes. Wir sind Botschafter an Christi Statt. Wir reden im Auftrag und haben von ihm selbst und durch den Heiligen Geist die Prokura, in seinem Namen zu reden. Darum können Berufene nicht sich selbst predigen, sondern nur weitersagen und weitergeben, was sie empfangen haben. Als solche Nachrichtensprecher will Gott Junge und Alte, Männer und Frauen, unendlich viele Ehrenamtliche und ein paar notwendige Hauptamtliche. So unterschiedlich die Persönlichkeiten und Dienste auch sein mögen – eines ist ihnen allen gemeinsam:
Berufen durch Gott
Für diesen schönsten Beruf der Welt kann, darf und muss ich mich nicht bewerben. Gott selbst beruft und beauftragt. So wie die Spieler vom Bundestrainer in die Nationalmannschaft berufen werden, so wie Regierungsmitglieder durch den Kanzler berufen werden, so wie auch Botschafter durch die Regierung berufen werden, so beruft auch Gott Menschen in seine Mannschaft, seine Mitarbeiterschaft und als seine Botschafter. Natürlich sollten Mitglieder einer Nationalmannschaft, aber auch Minister und Botschafter zu den Besten gehören, die man im Staate finden kann. Ob das immer der Fall ist, mag jeder selbst beurteilen.
Gottes Berufungen sehen manchmal anders aus. Da werden immer wieder Schwache, Zögerliche, Versagende, Unbegabte und selbst wütende Gegner berufen und von ihm selbst mit Vollmacht und Gaben ausgestattet. Seine Kraft ist oft genug gerade in den Schwachen mächtig.
Wir finden in der Bibel und in der Kirchengeschichte kein Schema, kein System, wie solche Berufungen sein müssten. Es gibt keine Einheitsform, wie Menschen durch Gott zum Glauben und Zeugendienst geführt werden. Meine eigene Berufungs- und Bekehrungsgeschichte kann und darf nicht zur Norm werden.
Petrus wurde anders berufen als Paulus und Mose auf eine andere Weise als Jesaja. Die Diakone in der Urgemeinde wurden anders berufen als Jona. Eines ist jedoch bei allen biblischen Berufungsgeschichten, und soweit wir es in der Kirchengeschichte wahrnehmen können, gleich oder mindestens ähnlich:
Ich kann nicht bleiben, wie und wo ich bin.
Durch die Berufung Gottes werde ich verändert.
Der wütende Verfolger Paulus wird verwandelt in einen liebevollen Zeugen und großen Theologen der Gnade; der einfache und schlichte Fischer Petrus wird verwandelt in den Pfingstprediger; und der geflüchtete Totschläger Mose, der diesen Auftrag gar nicht wollte, wird zum Befreier seines Volkes Israel aus der Sklaverei Ägyptens.
Ich kann also nicht bleiben, wie ich bin, Gott verändert! Ich kann aber auch nicht bleiben, wo ich bin. Alle, die Gott beruft, ruft er in einen Weg. Die alte Tätigkeit ist nicht mehr wichtig, die alten Beziehungen müssen verändert werden, und die Orte des Tuns sind nicht die gewohnten. Paulus musste vor seinen bisherigen Freunden und Mitarbeitern flüchten, und er zog durch die Welt an Christi Statt.
Petrus verließ sein Schiff, seinen Job, seine Familie und musste an der Hand Jesu viel lernen, auch in der Beziehung zu sich selbst. Mose musste sich auf einen langen, beschwerlichen – „wundervollen“ Weg machen.
Vermutlich gehört das zu allen biblischen Berufungsgeschichten dazu: Ich kann nicht bleiben, wie und wo ich bin.

Ein Zweites ist in den biblischen Geschichten ebenfalls erkennbar:
Ich muss nicht nur stark und vor allem nicht perfekt sein. Wer als Nationalkicker oder Regierungsmitglied berufen wird, muss stark sein und Leistung bringen, sonst wird er ausgemustert.
Petrus hat vieles falsch gemacht und sogar seinen geliebten Herrn verleugnet, und dennoch wird er nicht ausgemustert, im Gegenteil, neu beauftragt.
Elia war trotz großer Gotteserlebnisse, etwa auf dem Karmel, depressiv geworden und wurde nicht ausgemustert, sondern neu beauftragt und gestärkt.
Jona wollte sich selbst ausmustern, sich vom Dienst abmelden und ist abgehauen. Aber der lebendige Gott hat ihn nicht losgelassen.
Paulus war kränkelnd und schwach und wird dennoch weitergeschickt, als er verstanden hat, dass Gottes Kraft in den Schwachen mächtig ist und dass niemand sich seiner eigenen Leistung rühmen kann, sondern „wer sich rühmt, der rühme sich des Herrn“. Und nicht zuletzt hat Paulus erkannt: Ich bin Sünder und Gerechter, ein Schurke und ein Heiliger zugleich. Ich bin noch nicht am Ziel, aber Gottes Gnade verlässt mich nicht, und „nichts kann mich von der Liebe Christi scheiden“.

Berufen durch die Gemeinde
Nur wenige Menschen unserer Tage erleben eine solche Radikalumkehr wie Paulus vor Damaskus. Von brennenden Dornbüschen wie bei Mose habe ich nie wieder gehört. Die Jona-Geschichte bleibt sicher einmalig.
Aber wenn der Heilige Geist einen Menschen auf sehr individuelle Weise zum Glauben erweckt, entsteht in ihm auch Wunsch und Sehnsucht, Zeuge Jesu Christi zu sein. Ob er das hauptamtlich und vollzeitlich tun soll oder nach Arbeitsschluss ehrenamtlich, an welchem Ort und in welcher Form er als Zeuge Jesu Christi tätig wird, ist damit noch nicht entschieden.
Da braucht es die Gemeinde, die Schwestern und Brüder, die einen Menschen wahrnehmen und die dann unter Gebet und Geistesleitung diese Persönlichkeit wegweisend auf einen Platz stellen, in einen Dienst hineinsegnen oder zu einer theologischen Ausbildung berufen.
Wer sich in den schönsten Beruf der Welt berufen lässt, kann das nicht mit sich allein verhandeln. Es reicht nicht, eine eigene innere Gewissheit oder so genannten inneren Frieden zu haben. Es braucht die Stimme von außen, und manchmal ist ein Gemeinschaftsleiter wie der brennende Dornbusch, oder der Jugendkreis-Verantwortliche redet im Namen Gottes zu dir, und so kommt die innere und äußere Berufung zusammen. Natürlich kann das auch einmal umgekehrt sein. Dass zunächst die Geschwister sagen: „Du, das wäre eine Aufgabe für dich“, oder: „Wir halten dich für begabt genug, dass du in den vollzeitlichen Dienst gehst und dich ausbilden lässt“ und erst dann in einem selbst der Prozess beginnt und die Sehnsucht nach dem Zeugendienst wach wird. Auch da gibt es kein Schema und System.
Es ist klar, jeder Mensch kann viel für sich und mit sich selbst tun. Dazu wurden und werden wir ja alle hoffentlich auch erzogen, zur Selbständigkeit, dass uns nicht lebenslang die Mutter das Butterbrot schmieren muss; dass wir selbst Entscheidungen treffen können im Blick auf Beruf oder Beziehungen; dass wir auch selbst entscheiden können, wo wir Urlaub machen und welchen Frömmigkeitsstil wir leben wollen.
Aber es gibt auch Dinge, die nur andere an mir vollziehen können. Ich kann mich nicht selber segnen. Ich kann mir nicht selber die Absolution (Zuspruch der Vergebung) erteilen. Auch der geschickteste Chirurg kann sich nicht selbst am Blinddarm operieren. Keiner kann sich selbst zur Welt gebären, und keiner kann sich selbst beerdigen. Keiner kann sich selbst rechtfertigen. So wenig, wie ich mich selbst erlösen kann, kann ich mich selbst berufen.
Das ist die besondere Aufgabe der Gemeinde Jesu, dass sie Menschen segnet und freispricht und beruft in Aufgaben und Dienste. Ich wünsche mir sehr, dass das gerade auch im Bereich der Gemeinschaften wieder neu entdeckt und wahrgenommen wird und so junge Menschen betend begleitet, berufen und gesendet werden.

Berufen und begabt
Noch einmal: Die Nationalkicker sollten begabt sein, Regierungsmitglieder ebenso. Wenn Gott beruft, dann gibt er zur Berufung und Beauftragung auch die Ausrüstung.
„Am Abend aber dieses ersten Tages der Woche, als die Jünger versammelt und die Türen verschlossen waren aus Furcht vor den Juden, kam Jesus und trat mitten unter sie und spricht zu ihnen: Friede sei mit euch! Und als er das gesagt hatte, zeigte er ihnen die Hände und seine Seite. Da wurden die Jünger froh, dass sie den Herrn sahen. Da sprach Jesus abermals zu ihnen: Friede sei mit euch! Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch. Und als er das gesagt hatte, blies er sie an und spricht zu ihnen: Nehmt hin den heiligen Geist!“ (Joh 20,19–22).
Was für eine Berufung! In die gleiche Sendung wie Jesus: „Gleich wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch.“ Diese Gleichstellung ist schon etwas ganz Besonderes. Der lebendige Gott fragt nicht: „Herr Reiser, nehmen Sie die Wahl an?“
Er weiß auch um meine Einwendungen: „Ich bin zu jung, ich bin zu alt, ich bin zu schwach, ich kann nicht gut reden, ich kann nicht gut zuhören, ich habe eine schwere Zunge und ein sündiges Herz.“
Alle diese – wohl auch berechtigten – Einwände kennt der gütige Gott. Dennoch will er seinen Schatz in „irdenen Gefäßen“ verwahren und verwalten und zum Glänzen bringen. Vor allem aber gibt er zur Beauftragung auch die Ausrüstung. „Nehmt hin den heiligen Geist“. Alle Berufenen dürfen wissen, dass Gott seinen Geist gibt denen, die mit Zittern und Zagen, mit Stöhnen und Seufzen, mit Freude und Hoffnung, vom gekreuzigten und auferstandenen Herrn Zeugnis geben. Gott selbst will dafür Sorge tragen, dass aus unserem kleinen Dienst große Frucht wächst.
So sind wir also berufen und sollen als Botschafter an Christi Statt der Welt zurufen: „Lasst euch versöhnen mit Gott“, denn Christus hat alles vollbracht.

Eugen Reiser
Direktor der Evangelischen Missionsschule, Unterweissach