Esra 9, 1-15

Esras Bußgebet

Der Treuebruch
Die Freude, endlich in Jerusalem angekommen zu sein, war groß. Doch der Tiefschlag lässt nicht lange auf sich warten: Esra muss nun erfahren, dass jene, die schon rund 80 Jahre zuvor aus der Babylonischen Gefangenschaft zurückgekehrt waren, sich mit den Heiden des Landes vermischt hatten. Dabei hatte der Herr sie davor ausdrücklich gewarnt und dies verboten (5. Mose 7,3ff). Sie sind doch ein "heiliges Volk" für den Herrn! Es ging nicht um Fremdenfeindlichkeit. Der springende Punkt ist, dass sie dadurch Synkretismus praktizierten, also den Glauben mit Aberglauben vermischten und anderen Göttern dienten. Das erste Gebot wurde dadurch missachtet.
Zudem waren es nicht nur ein paar Ausnahmen am Rande, die das praktizierten. Die offiziellen Vorbilder des Volkes, die Oberen und Ratsherren, waren die ersten beim Treuebruch! Auch aus den Reihen der Priester und Leviten waren welche dabei (10,18.23). Was in der Babylonischen Gefangenschaft undenkbar war, wurde in der Heimat ohne weiteres praktiziert. Erschüttert zerreißt sich Esra die Kleider und rauft sich die Haare. Gebrochen und betäubt setzt er sich hin. Nach und nach tun es ihm andere gleich und setzen sich zu ihm. Sein wortloser Schmerz wurde für sie zur starken Bußpredigt. Auch sie sind nun über den Treuebruch entsetzt. Wie konnte das geschehen? Warum hat niemand was dagegen gesagt? Fragen, die offen bleiben. Die Zeit vergeht. Sie bleiben zutiefst betroffen in Trauer sitzen bis zum Abendopfer.

Esras Bußgebet
Ehrfurchtsvoll möchte Esra nun im Gebet vor Gott kommen. Er steht mit seinen zerrissenen Kleidern dazu auf und fällt auf die Knie. Er beugt sich vor Gott und breitet die Hände aus. Die sich mit ihm niedergeworfen hatten, hören ihm zu. Das erste, was er sagt, ist: "Mein Gott, ich schäme mich". Esra wagt sich nicht mehr, zu Gott aufzusehen. Es belastet ihn so sehr. Aber er distanziert sich nicht von denen, die gesündigt haben; zeigt nicht mit dem Finger auf sie, sondern er solidarisiert sich mit ihnen. Er beugt sich unter die Sünde des Volkes und bekennt sie (V. 6+7). Mit starken Bildern beschreibt er die Sünde: Sie ist ihnen "über den Kopf gewachsen" und ist so groß, dass sie "bis an den Himmel" reicht. Schon unsere Väter haben so viel gesündigt, dass ihnen mancherlei Gerichte auferlegt wurden. Zuletzt die Gefangenschaft in Babylon. Doch wir haben daraus nichts gelernt und sündigen immer noch.
Trotz all dem hat der Herr "einen kleinen Augenblick Gnade" gewährt. Dies bezieht sich auf die erste Rückkehr aus dem Exil (538 v.Chr.) und die verschiedenen nachfolgenden Heimreisen, bis hin zu seiner eigenen. Dies ist tatsächlich ein kleiner Augenblick, wenn man es mit der langen Geschichte Israels vergleicht. Ermöglicht wurde das dadurch, dass Gottes Gnade die strenge Babylonische Herrschaft durch die Persische abgelöst hat (V.9). Äußerlich stehen sie zwar immer noch unter der Herrschaft der Perser, jetzt aber wieder im Heiligen Land, wo sich Gott im neu aufgebauten Tempel offenbart. Zusammenfassend bekennt Esra im Gebet: Gottes Gnade ist groß. Immer wieder durften sie es erfahren. Dennoch haben sie sich erneut versündigt, indem sie sich mit den heidnischen Bewohnern des Landes, mit ihrer Unreinheit und ihren Greueln, eingelassen und sie geheiratet haben! Alle Mahnungen Gottes haben sie in den Wind geschrieben (V. 10-12: viele Zitate klingen in dieser Reihenfolge an: 5.Mo 4,5ff; 3.Mo 18,25ff; 2.Kö 16,3; 21,16; 5.Mo 7,3; 5.Mo 23,7; 1.Mo 45,18; Hes 37,25). Esra erkennt die tiefe Schuld. Er sieht realistisch die Möglichkeit, dass Gott sie auch völlig auslöschen kann - nach Gottes Gericht sind sie ohnehin nur noch ein kleiner Rest. Esra bekennt stellvertretend die Schuld seines Volkes. Das ist seine einzige Hoffnung, um das Blatt noch einmal zu wenden.
Nach seinem Schuldbekenntnis handelt er auch konsequent: die Mischehen werden aufgelöst (Kap. 10).

Fragen zum Gespräch:
· Wo habe ich die Treue mit Gott gebrochen?
· Wann bin ich das letzte Mal zutiefst erschüttert von meiner Sünde auf die Knie gegangen?
· Wo muss ich, wie Esra, Konsequenzen ziehen (vgl. Kp. 10)?
· Wie geht Jesus mit Treuebrechern um?

Oliver Lutz