Esra 1, 1-11

Gott will die Wende und nicht das Ende

Die beiden letzten Verse des Chronikbuches (2.Chr 36,22+23) bilden den Anfang des Buches Esra. Für den Chronisten ist es die Krönung der Geschichte, dass Gott sein Volk nicht verlässt - noch entlässt: verlässt und allein lässt in der Gefangenschaft noch entlässt aus seinem gewissen Bund in eine ungewisse Zukunft.
Wie groß war die Gefahr der Vermischung mit dem Volk der Meder und Perser, und wie leicht hätte es sein können, dass man sich nach zwei Generationen mit der Situation abfindet und sich arrangiert. Dann hätte das Volk der Juden aufgehört, ein Volk der Juden zu sein und zu bleiben - aufgehört, Gottes auserwähltes Volk zu sein. Das ist das Ende! Und was wäre dann mit all den Zusagen und Bündnissen, die Gott mit seinem Volk geschlossen hatte? Was würde das Wort Gottes noch gelten, wenn es plötzlich ungültig geworden wäre? Nein, Gott steht zu dem, was er gesagt, verheißen und versprochen hat - auch über Generationen, Jahrtausende und Geschichte hinweg. Gott ist ein Gott der Welt-, der Heils- und der persönlichen Geschichte; der großen und der kleinen Zusammenhänge, der globalen und regionalen Ereignisse, ganzer Völker und des einzelnen Menschen. Was für ein großer Gott ist das, dem nichts zu gering ist, dass er es vergessen könnte, und nichts zu groß ist, dass er es nicht lenken wollte.
Und dieser große und treue Gott greift ein in die Weltgeschichte durch die Heilsgeschichte - das ist die Wende!

Die Wende - das erfüllte Wort (V. 1a)
Gott hat durch den Mund des Propheten Jeremia seinem Volk die Heimkehr ins Vaterland - das Land der Väter - versprochen (Jer.25,11; 29,10).
Jer. 29,10+11: "Wenn für Babel siebzig Jahre voll sind, so will ich euch heimsuchen und will mein gnädiges Wort an euch erfüllen, dass ich euch wieder an diesen Ort bringe. Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe das Ende, des ihr wartet." Die guten Gedanken Gottes sind es, die über unserem Leben und über dem Leben eines ganzen Volkes stehen, die das gut machen, was andere böse machen wollen, die heimsuchen und Frieden schenken, die ein Leben erfüllen. Gott erfüllt sein Wort!

Die Wende - die erfüllte Zeit (V. 1b-4)
Es ist das Jahr 538 v.Chr. Cyrus erobert Babylon. Die Zeit Babels ist wie von Gott angekündigt um. Seit dem Fall der assyrischen Hauptstadt Ninive (612 v.Chr.) bis zum ersten Regierungsjahr des Königs Cyrus sind 74 Jahre vergangen. Gott leitet die Wende ein, indem er den Sinn des Herrschers wendet. Jetzt ist der "kairos", die von Gott erfüllte und gefüllte Zeit - seine Zeit. Wie Nebukadnezar einst das Werkzeug Gottes zum Gericht an seinem Volk war, so ist Cyrus das Werkzeug der Heimsuchung an seinem Volk. Und so kommt es zum Erlass der Heimkehr, zum Befehl des Tempelbaues und zur Rückgabe der von Nebukadnezar geraubten und entweihten Tempelgeräte. Alles geschieht im Namen des Herrn, des Gottes im Himmel. So nannte man den Gott Israels, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs. Von allen anderen Gottheiten hatte man Figuren, Bilder, Statuen - nur von dem Gott Israels kein Bildnis, weil er im Himmel wohnte. Deshalb war er für Cyrus der Gott des Himmels.
Während die Assyrer durch Deportation ihr Reich zu befrieden suchten, ging Cyrus den anderen Weg. Er ging freundlich mit den ihm unterworfenen Völkern um. Freundschaft ist besser als Feindschaft. Während Cyrus diese Klugheit und diesen Weitblick vielleicht seinem überragenden staatsmännischem Geschick zuschrieb - lesen wir hier, dass er vom Geist Gottes bestimmt und gelenkt war.
Gott wendet der Mächtigen Geist, den Weltgeist - durch den allmächtigen Geist, den Heiligen Geist. Gott erfüllt die Zeit!

Die Wende - die erfüllte Hoffnung (V. 5-11)
Gott erweckt nicht nur den Geist des Cyrus, um Neues zu denken und zu wagen, sondern auch den Geist der Häupter der Sippen aus Juda und Benjamin und der Priester und Leviten und all derer, die sich erwecken ließen. Gott sucht Freiwillige - keine Zwangsarbeiter. Nur die sich vom Geist Gottes erwecken ließen, sind bereit zum Gehen, im gelobten Land als Volk Gottes wieder neu aufzugehen. Die andern sind bereit, im fremden Volk auf- und unterzugehen.
Wie viele haben gehofft, einmal wieder zurückkehren zu können in ihre Städte und Dörfer, in ihre Heimat. Wie viele haben gehofft, einmal wieder im neu errichteten Tempel anbeten zu dürfen. Tempellos - war für sie gleich heimatlos. Und nun sollte alles wieder gut werden, Heimat und Tempel, Anbetung und Opfer, Gemeinschaft und Landschaft - sollte Hoffnung sich erfüllen. Und die sich erwecken lassen, die aufwachen zu neuem Leben und neuer Zukunft, denen gibt Gott über Bitten und Verstehen.
Gott erfüllt nicht nur die Hoffnung zur Rückkehr, sondern darüber hinaus füllt er die leeren Hände der Rückkehrer. Es ist wie bei dem Auszug aus Ägypten - alles steht Gott zu Diensten und zur Verfügung. Fremde, Feinde, Freunde geben und helfen (2.Mo 3,21+22). Gott wendet auch ihren Geist.
Alle geraubten Tempelgeräte werden vom Schatzmeister Mithredat dem judäischen Fürsten Scheschbazar vorgezählt und registriert. Gott sorgt selbst dafür, dass nichts zurückbleibt im Lande der Unehre, sondern im Tempel wieder zu Ehren kommt. Dass die Summe der Zahlen letztendlich hier viel höher ist, mag daher rühren, dass es sich nur um einen Auszug aus der Gesamtaufstellung handelt. Scheschbazar ist nicht identisch mit dem später genannten Serubbabel. Der Name Scheschbazar taucht nicht mehr bei der Heimkehrerliste auf, und so vermutet man, dass er vielleicht bald gestorben oder zurückgekehrt ist an den babylonischen Hof. Beide hatten ihre spezielle Aufgabe. Scheschbazar war der "Wiedergutmachungskommissar" und Serubbabel der "Repatriierungskommissar". Man nimmt an, dass Serubbabel von Scheschbazar die Leitung des Tempelneubaus übernommen hat. Gott erfüllt die Hoffnung nach seiner Verheißung! Hoffnungsvoll darf das Volk in eine neue Zukunft blicken - staunend dürfen sie sehen, wie sich Gottes Zeit erfüllt und anbetend feststellen, wie Gott sein Wort erfüllt. Dazu hat sie der Geist Gottes erweckt - zum Sehen und Gehen, zum Staunen und Glauben.
Bei alledem dürfen wir freudig und getrost feststellen, dass Gott sein Wort - seine Zeit - und die verheißene Hoffnung erfüllt. Gott will die Wende und nicht das Ende - Heilsgeschichte geht immer über Weltgeschichte.

Fragen zum Gespräch:
· Wo hat Gott Ihrer Meinung nach in letzter Zeit Weltgeschichte geschrieben?
· Wie kann der Geist Gottes in einem Menschenleben die Wende bewirken?
· Warum beten wir manchmal so wenig für unsere Obrigkeiten?

Harald Kubitza, Schwäb. Gmünd