Einführung in die Mosegeschichte

In unserem Textplan ist in jedem Jahr ein Teil aus den geschichtlichen Büchern des Alten Testamtents an der Reihe. Nach den Josefsgeschichten im Jahr 2002 folgen nun die Mosegeschichten: Zunächst an zwölf Sonntagen (Mitte Februar bis Mitte Mai) 2. Mose 1-15; im Oktober/November schließen sich die Kapitel 16-20 an. Es ist der Teil von Moses Geburt bis zu der Gesetzgebung am Sinai. Im Jahr 2004 wird die Mosegeschichte fortgesetzt.
Nachfolgende Ausführungen geben zunächst einen Überblick sowie eine Einführung in die faszinierende Mosegeschichte.

I. Der Zusammenhang
Voraus gehen die Erzvätergeschichten von Abraham bis Josef (1.Mose 12 bis 50).
1. Es begann mit Abraham
· Mit ihm beginnt die Geschichte Israels. Es ist zugleich der Beginn der Heilsgeschichte.
· Alles beginnt damit, dass Gott redet und beruft (1.Mose 12,1ff.).
· Gott beginnt klein und verborgen.
· Am Anfang stehen die grundlegenden Verheißungen: VOLK – LAND – SEGEN (1.Mose 12,1-7; 13,14-16; 15,5-7; 17,4-8).

2. Isaak und Jakob erhalten dieselben Verheißungen
Mehrfach bekräftigt es Gott diesen Nachkommen (z.B. 1.Mose 26,2-4; 35,9-12).

3. Josef und seine Brüder
· Aus einer Kleinfamilie wird eine Großfamilie (2.Mose 1,5).
· Auf sonderbare und geheimnisvolle Weise führt Gott durch Josef nach Ägypten, denn es muss sich erfüllen: „Aus Ägypten habe ich meinen Sohn gerufen“ (Hos 11,1; vgl. Matth 2,15).
Daran knüpft die Mosegeschichte direkt an. In allem aber gilt:
Die Erzväter erhalten die Verheißungen. Sie leben im Hoffen und in der Erwartung der Erfüllung.

4. In Ägypten erfüllt sich die erste Verheißung
Israel wird ein VOLK (2.Mose 1,7).
· Als Familie mit 70 Personen waren sie nach Ägypten gezogen, als großes Volk ziehen sie nach 430 Jahren wieder aus (2.Mose 12,40).
· Es war eine notwendige „Umleitung“ (1.Mose 46,3.4). In Kanaan wären sie der Versuchung erlegen, sich mit den umliegenden Heidenvölkern zu vermischen, was die spätere Geschichte zeigt. In Ägypten mussten sie abgesondert wohnen, weil es die Ägypter nicht anders wollten (1.Mose 46,34). So bewahrte Gott sein Volk.
· Sie werden jedoch nicht nur ein großes Volk, sondern sie werden unter Mose Gottes Volk (2.Mose 19,5.6).

5. Die weite Verheißung wird sich unter Josua erfüllen: Israel bekommt das LAND (Josuabuch)
Zugleich erfüllt sich in all diesen Geschichten auch die dritte Verheißung: SEGEN. Er ist in Gottes Führung gleichsam eingewickelt und zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte, selbst in Phasen, in denen Israel untreu wird, weil Gott seinem Wort treu bleibt.
· So entfaltet sich der ganze „Abrahamssegen“ zum ersten Mal unter Josua (Jos 21,43-45; Josua = Jeschua = Jesus!).
· In einer neuen und noch vollkommeneren Weise erfüllen sich diese Verheißungen VOLK – LAND – SEGEN unter David und dem „Sohn Davids“ Salomo (1.Kön 8,56).
· Vollkommen erfüllen sich die Verheißungen neu in Jesus Christus (er ist zugleich der Jeschua und der Sohn Davids). Dann wird das Gottesvolk des Alten und Neuen Bundes sein VOLK sein, als LAND die ewige, unvergleichliche Heimat besitzen und den tiefsten SEGEN erfahren und ausströmen (Offb 21-22).

II. MOSE – ein Freund Gottes
Grundlegendes zu Person und Auftrag
1. Der Name gibt schon einen Hinweis auf Jesus.
· „Mos“ (ägyptisch) = Sohn)
· „Moshe“ (hebräisch) = aus dem Wasser gerettet.
2. Bibeltexte: 2. bis 5. Buch Mose; Ps 78; Apg 7;17-44.
3. Zeitabschnitt: Um 1350-1250 v.Chr.
4. Lebensabschnitte
· Sein Alter betrug 120 Jahre (5.Mose 34,7).
· Erste Lebensphase: 40 Jahre
- in Ägypten und am Hof Pharaos (2.Mose 2; Apg 7,20-29)
- aus dem Stamm Levi (2.Mose 2,1)
- die Eltern: Amram und Jochebed (2.Mose 6,20)
- die Geschwister: Aaron (2.Mose 4,14) und Mirjam (2.Mose 15,20).
· Zweiter Lebensabschnitt: 40 Jahre
- in der Wüste Midian als Schafhirte (Apg 7,29.30).
- Heirat mit der Tochter des Priesters Jethro (2.Mose 2,21)
- lebt 40 Jahre lang in der Verborgenheit.
· Dritter Abschnitt: 40 Jahre
- mit seinem Volk unterwegs in der Wüste (Apg 7,36)
- Er erlebt Höhepunkte und das Wirken Gottes einerseits und zugleich Tiefpunkte durch menschliche Schuld andererseits wie wenige Menschen, z.B.: die zehn Plagen in Ägypten, der Auszug; die Gottesoffenbarung am Berg Sinai; Ungehorsam und Murren des Volkes; eigener Ungehorsam...
- Sein Lebensende ist bedeutend: seine Abschiedsrede und Segen sowie sein Tod (5.Mose 32-34).
5. Merkmale seiner Person
· Ein Freund Gottes (2.Mose 33,11). Diesen „Titel“ erhält sonst nur noch Abraham (vgl. Jak 2,23; 2.Chron 20,7).
· Direkter Gesprächspartner Gottes. Gott begegnet ihm ohne Mittler; Mose selbst wird Mittler zum Gottesvolk.
Er überbringt den Willen Gottes (die Thora = Weisung). Vgl. 2.Mose 19,20; 20,18.19; 24,15-18; 33,7-11; 4.Mose 7,89.
· Mit Vollmacht und Autorität von Gott ausgestattet:
Vor Pharao, vor Israel und für Israel (2.Mose 4,15-17; 4.Mose 12,8; 5.Mose 34,10-12).
· Zentrale Stellung im Heilsplan Gottes
- „Das Gesetz ist durch Mose gegeben; die Gnade und Wahrheit ist durch Jesus Christus geworden“ (Joh 1,17).
- Neben Elia ist Mose die zentrale Gestalt des Alten Testamentes (vgl. die Verklärung Jesu Matth 19 sowie die oftmalige zusammenfassende Redeweise vom gesamten Alten Bund: „Das Gesetz (Mose!) und die Propheten“ (Elia!).
- Retter des Volkes aus der Knechtschaft.
· Schatten auf Christus hin.

III. Grundlegendes zum 2. Mosebuch (Exodus)
Der griechische Titel dieses Buches lautet: „Exodus“ = Auszug.
Nach den Geschichten der Erzväter beginnt jetzt die eigentliche Geschichte des Volkes Israel – genauer gesagt: Gottes Geschichte mit dem Volk Israel. Die Erzvätergeschichten zeigen uns Gottes Ringen um die Herrschaft im Einzelleben und im Familienleben. Im Exodusbuch wird uns das göttliche Ringen um die Herrschaft in einem Volk gezeigt – ja noch viel weiter: Es geht um die Herrschaft Gottes über alle Völker. Im Einzelnen halten wir fest:

1. Wir erleben den Zusammenstoß des göttlichen Heilswillens mit allerlei widerstreitenden Mächten, die von außen und von innen wirken. Zugleich wird Gottes Wirken an seinem Volk und an den Menschen deutlich, weil er seine Segensherrschaft auf dieser Erde aufrichten will – bis heute auch bei uns!

2. Gott handelt konkret in der Geschichte.
Er ist keine bloße Idee – sondern er ist aktiv handelnd als Schöpfer, Erhalter und Vollender. Im Buch Exodus geht es um sehr konkrete Erlebnisse und Ereignisse mit Gott. Gottes Wirken hat jedoch eine große Geschichtslinie: Er arbeitet nicht heute hier, um sein Werk wieder fallen zu lassen und morgen wo ganz anders anzufangen. Nein:
„Was er sich vorgenommen und was er haben will,
das muss doch endlich kommen zu seinem Zweck und Ziel“.
Das ist Gottes Treue. Sie wird auch durch das Versagen, die Schwachheit und Untreue der Menschen nicht aufgehalten. „Sind wir untreu, so bleibt er doch treu“.
Freilich bleibt die Schuld des Menschen nicht ohne Wirkung. So wie die Abwendung eines Menschen von Gott unabsehbare Folgen des Fluches hat, so hat die Hinwendung eines Menschen und eines Volkes zu Gott unabsehbare Segenswirkungen. Alle diese Prinzipien werden in den Erzvätergeschichten aufgezeigt im Einzelleben und im Familienleben. Im Buch Exodus wird die Basis breiter: Gottes Wirken in der Geschichte eines Volkes.

3. Das zweite Buch enthält die grundlegenden Geschichten vom Handeln Gottes in Israel:
· Dieses Handeln ist die Basis für das ganze AT und für jeden gläubigen Israeliten (vgl. 5.Mose 6,20ff; Ps 78).
· Das Buch enthält die grundlegenden Taten Gottes, auf dem jedes Glaubensbekenntnis in Israel beruht:
- Freiheit von der Knechtschaft in Ägypten (deshalb „Exodus“)
- Bundesschluss mit Israel.

4. Beispielhaft können wir an den Mosegeschichten sehen:
· Das Wesen und Wirken Gottes: Gott offenbart sich (2.Mose 3) und seinen Willen (2.Mose 20) sowie seine Größe und Macht, seine Treue...
· Das Wesen und Verhalten des Menschen: schwankend, halsstarrig, ungläubig, murrend, schnell undankbar...
· Wie der Weg des Glaubens aussieht (der Weg vom Auszug aus der Knechtschaft durch die Wüste hin ins verheißene Land).

5. Durch Gottes Handeln mit Mose und seinem Volk verwirklicht sich die heilsgeschichtliche Linie, die Gott Abraham verheißen und mit ihm begonnen hat (vgl. Teil I). In dieses Volk hinein wird Christus als der Retter der Menschheit geboren (Joh 4,22). Das Handeln Gottes durch Mose hat Bedeutung für die gesamte Menschheit. Gottes Handeln ist hier eine Vorabbildung auf Christus hin (Hebräerbrief, vor allem Hebr 8,5; 9,1.11; 10,1). Diese Geschichten sind von Christus her und auf Christus hin zu lesen und zu sehen:

Mose - Kreuz - 2003

6. Beispiele für die Vorbildfunktion auf das NT hin:
· Ein Sohn wird zur Rettung des Volkes geboren. Sein Leben ist von Anfang an gefährdet (Pharao/Herodes).
· Auszug aus Ägypten – Auszug aus der Knechtschaft der Sünde (Joh 8,34.36).
· Die große Befreiung gipfelt im Passah, dem Vorbild der Erlösung auf Golgatha; das Passahlamm ist der Typus für Christus (Joh 1,29).
· Nach dem Auszug führt Gott sein Volk, um es in seiner Gemeinschaft zu erhalten (Feuersäule; Wolkensäule). Der Durchzug durchs Rote Meer gleicht der Bewahrung in der Nachfolge. Auf dem Weg des Glaubens ernährt Gott sein Volk: Manna (Joh 6,48-51) und Wasser (Joh 7,37.38).
· Der Bund am Sinai ist das Vorbild des Neuen Bundes (Matth 26,28; Hebr 8,6-13).
· Der Bau der Stiftshütte und die Anbetung sind Beispiel für das Leben der Erlösten in der Gemeinschaft mit Gott.

7. Unser Verhältnis zum Volk Israel heute erfährt durch diese Geschichten eine heilsame Korrektur und Orientierung
- gegen jede falsche Israel-Euphorie (denn es ist ein „halsstarriges Volk“)
- gegen jeden Antisemitismus (denn es ist und bleibt Gottes Volk; vgl. Röm 9-11).

IV. Zur Auslegung
Bei der Mosegeschichte (Mg) verhält es sich so, wie sehr oft beim Wort Gottes: Es ist sehr vielschichtig und beinhaltet zugleich mehrere Aspekte. Es ist wundervoll zu erkennen, wie in Gottes Geschichte verschiedene Linien ineinander verwoben sind und er alles im Blick hat.
Ich nenne vier Aspekte, die uns bei der Auslegung im Blick sein sollten:
· Der zeitgeschichtliche Aspekt
Die Mg ist ein Teil der Geschichte Israels und beinhaltet die wichtige Phase von der Befreiung Israels in Ägypten, den Bundesschluss am Sinai und den Weg durch die Wüste. Gerade die Herausführung aus dem „Hause der Knechtschaft“ steht am Beginn aller Glaubensbekenntnisse Israels.
· Der heilsgeschichtliche Aspekt
Die Mg ist ein Teil es Heilsweges Gottes mit seiner Menschheit, den er mit Abraham begonnen hat und den er zunächst in dieser Familie und dann in seinem Volk Israel weiterführt und durch Christus ausweitet auf alle Welt, bis er mit dem Volk Gottes des Alten und des Neuen Bundes ans Ziel kommt. Hier gilt auch Röm 11,33-36!
· Der erbauliche Aspekt
Mose ist ein Vorbild im Glauben. Wir können uns in zahlreichen Lebenssituationen wieder erkennen – vor allem Gottes Handeln an seinen Kindern! (Vgl. Teil III, Punkt 4).
· Der christologische Aspekt
Mose ist ein Vorbild auf Jesus Christus hin, wie wir es in dieser Klarheit selten im Alten Testament antreffen. Sowohl die Grundlinien weisen darauf hin als auch zahlreiche einzelne Details. Vgl. Teil III, Punkt 6.
· Grundsätzlich gilt:
Keiner wird den ganzen Reichtum erfassen und erkennen, der in diesen Kapiteln liegt. Deshalb haben wir auch en Brüdertisch als eine sinnvolle Einrichtung der Ergänzung. Andererseits gilt: Alle Aspekte sollten im Auge behalten werden; bei der Auslegung sind jedoch Schwerpunkte zu bilden.

Otto Schaude, Reutlingen