1.Mose 50,15-26

Vergebung

Der Vater Jakob war tot. Wie würde sich dies auf das Verhältnis Josefs zu seinen Brüdern auswirken?

Alte Sünden leben lange
Josefs Brüder bekommen Angst. Hatte Josef sich ihnen gegenüber nur freundlich verhalten, solange der Vater noch lebte? Würde er sich jetzt an ihnen rächen? Die alten Geschichten sind schon lange her, aber sie sind nicht vergessen. Sie können nach langer Zeit plötzlich wieder ganz lebendig sein. Das ist der Fluch der Sünde. Sünde ist eine Tat und damit eine geschichtliche Wirklichkeit des Lebens, die nicht mehr rückgängig zu machen ist. Deshalb können lange zurückliegende Sünden plötzlich wieder ganz gegenwärtig sein. Diese Wirklichkeit und damit Mächtigkeit der Sünde ist mit ein Grund, dass die Bibel uns vor ihr so eindringlich warnt.

Endlich Buße
Offensichtlich wurde von den Brüdern bisher die Bitte um Vergebung nicht vorgetragen. Sicher hatte Josef sich sofort sehr großherzig gezeigt, als er sich seinen Brüdern zu erkennen gab (1.Mose 45,5). Und doch wird deutlich, wie schwer es fällt, einen anderen Menschen um Vergebung zu bitten. Es wird so lange wie möglich hinausgeschoben. Dann wurde noch der Vater um Rat gefragt und mit dem Verweis auf ihn die Bitte an Josef unterstrichen.
Noch eine wichtige Beobachtung: Die Bitte um Vergebung wird ohne jegliche Entschuldigung vorgetragen. Echte Buße sagt uneingeschränkt: Ich bin schuldig.

Die gewährte Vergebung
Josef vergibt. Aber was heißt das eigentlich? Schwamm drüber, vergeben und vergessen? So wird oft oberflächlich über Vergebung gedacht. Die Brüder verwenden bei ihrer Bitte jedoch zweimal dasselbe Wort, das uns weiterhilft. Statt "vergib doch" können wir wörtlich übersetzen "trage doch". Sünde kann man nicht einfach wegwischen. Eine Tat kann nicht ungeschehen gemacht werden. Sünde muss deshalb getragen werden: entweder vom Täter als Strafe oder stellvertretend durch eine andere Person. Damit verstehen wir, warum Jesus für die Sünden stellvertretend sterben musste. So trug er unsere Schuld.
Vergebung hat konkrete Folgen. Josef betrachtet seine Brüder nicht als Knechte, sondern als Brüder, denen auch weiterhin seine Fürsorge gilt.

Die Einsicht in Gottes Führung
Woher nahm Josef die Kraft zur Vergebung? Er hatte erkannt, dass er trotz der Schuld seiner Brüder von Gott geführt worden war und dass Gott die böse Tat der Brüder zum Guten gewendet hat (V. 20). Klar muss allerdings sein, dass Gott nie menschliche Schuld möchte oder bräuchte, um seinen Plan auszuführen. Schuld ist nie mit dem Verweis auf Gottes Willen zu entschuldigen. Das Wunder ist vielmehr, dass Gott trotz menschlicher Schuld zu seinem Ziel kommt.

Die Verheißung bleibt bestehen
Die Brüder bleiben mit ihren Familien für eine längere Zeit in Ägypten. Aber es ist auch für Josef klar, dass dies nur eine Zwischenzeit ist. Die Verheißung bleibt bestehen und wird in Erfüllung gehen. Gott wird die Nachkommen Jakobs in das verheißene Land führen. Wie dies geschieht, wird in den folgenden Büchern der Bibel erzählt.

Fragen zum Gespräch:
· Welche "alten Geschichten" müssten wir heute aufarbeiten?
· Was muss denn noch geschehen, bis Schuld endlich ausgesprochen wird?
· Wer erzählt vom Segen erfahrener Vergebung?

Pfarrer Hartmut Schmid
Albrecht-Bengel-Haus Tübingen