Engel

Die Kinderstunde ist aus. Fröhlich rennen die Kinder nach Hause. Nur ein kleines Mädchen nicht. Gemütlich trödelt sie hinter ihrem Bruder her. Plötzlich merkt sie, dass ihr Bruder mittlerweile schon über die Straße gegangen ist. Schnell rennt sie hinterher. Sie springt über den Schneehaufen am Straßenrand, rennt auf die Straße und läuft frontal in ein Auto. Meterweit wird sie geschleudert, bleibt auf der Straße liegen. Notarzt und Krankenwagen kommen. Aber die Untersuchungen ergeben keine schlimmen Verletzungen! Ein Schaulustiger sagt: "Kind! Du hast einen Schutzengel gehabt!" Es gibt biblische Begriffe, die einen Platz im Alltag gefunden haben. Der Begriff Engel - genauer gesagt "Schutzengel" - gehört dazu. Weil der Begriff sich aber in der Alltagswelt verändert haben könnte, gehört es dazu, dass Christen fragen, was eigentlich mit Engel gemeint ist und was sich im Laufe von vielen Tausend Jahren Judentum und Christentum dazu gebildet hat.

1. Engel heißt zuerst nur "Bote"

In der Bibel wird der Begriff "Engel" für drei Arten von Boten benützt. So werden menschliche Boten damit bezeichnet, z.B. wenn Jakob seinem Bruder Esau "Boten" entgegen schickt (1. Mose 32,4), oder wenn Rahab in Jericho die "Boten" (Kundschafter) aufnimmt (Jakobus 2,25). Zum andern kann ein Mensch zum Boten Gottes ernannt werden. So wird der Prophet Haggai als "Bote" bezeichnet (Haggai 1,13). Meistens jedoch meint das hebräische mal'ach und das griechische Wort angelos den himmlischen Bote Gottes - wir sagen "Engel".

2. Wer sind Engel?

Engel sind Wesen, die von Gott einen Platz zwischen Gott und den Menschen zugewiesen bekommen haben. Sie sind von Gott geschaffen wie auch wir Menschen, die Tiere, ja die ganze Natur. Trotzdem haben schon die Väter des Glaubens die Engel dem Bereich Gottes zugeordnet. Dies wird im Nizänischen Glaubensbekenntnis deutlich. Am leichtesten findet man es im Evangelischen Gesangbuch unter der Nummer 687. Dort haben die Väter im Glauben formuliert: "Wir glauben an den einen Gott, ... der alles geschaffen hat, ... die sichtbare und die unsichtbare Welt." Während wir Menschen der sichtbaren Welt angehören, sind die Engel genauso Geschöpfe Gottes, aber der unsichtbaren Welt Gottes zugeordnet. Weil dies so ist, sind sie Jesus Christus auch unterstellt. Christus ist als Sohn Gottes ungeschaffen, Gott von Gott; die Engel dagegen "dienen" ihm (Matthäus 4,11). So ist auch eine Anbetung der Engel nach biblischem Verständnis unmöglich. Paulus betont dies besonders im Kolosserbrief (2,18). Hier lehnt er die (falsche) Verehrung der Engel ab, die sich schon in den ersten Jahren der Christenheit eingeschlichen hatte.

3. Was tun Engel?

Auch wenn viele Menschen heute in den Engeln oft nur den Schutzengel sehen, ist die erste Aufgabe der Engel, von der Herrlichkeit Gottes zu zeugen. Die Bibel benützt das damals bekannte Bild des Hofstaates Gottes. Ein König hat eine Menge von Menschen um sich. Sie dienen ihm. Die Größe dieses Hofstaates lässt Rückschlüsse auf seine Macht zu. So macht der Hofstaat Gottes, die Engel, auch deutlich, welche Herrlichkeit in Gott liegt. Der uns aus der Weihnachtsgeschichte bekannte Ausdruck "die Menge der himmlischen Heerscharen" macht dies deutlich (Lukas 2,13). Die anwesenden Engel strahlen Gottes ganze Majestät und Herrlichkeit aus (Jesaja 6,2-4). Die Aufgabe der Engel besteht darin, Gott zu loben und ihn anzubeten (s.u.a. Psalm 103, 20ff und Daniel 4,10ff). Man könnte die Engel als himmlische Liturgen bezeichnen.

Eine weitere Aufgabe der Engel liegt darin, als Boten Gottes aufzutreten. Wenn ein Herrscher früher eine Nachricht überbringen wollte, hatte er drei Möglichkeiten: Entweder er reiste selbst oder er schickte einen Brief mit Siegel oder er schickte einen Boten. Dieser Bote hatte die Aufgabe, die Botschaft des Herrschers ohne Abstriche und Zusätze weiterzugeben. Der Bote repräsentierte den Absender selbst. Sein eigenes Ich trat hinter der Botschaft ganz zurück. Dieses so genannte Botenrecht galt und gilt auch für die Boten Gottes. Schon die Propheten sprechen im Auftrage Gottes ("So spricht der Herr: ..."). Ihre Person tritt hinter der Botschaft zurück. Bei den himmlischen Boten, den Engeln, verstärkt sich das noch mehr. Eine genaue Beobachtung der Erzählung von 1. Mose 18 (Verheißung des Nachkommen an Abraham im Hain Mamre) zeigt das deutlich. Die Engel treten hinter den Sender (Gott) zurück. Sogar so weit, dass sie mit "HERR" (= Jahwe, das ist Gott selbst) bezeichnet werden (Vers 13). Auch werden die Engel mal mit der Mehrzahl ("Man soll euch" Vers 4), mal mit der Einzahl ("Herr, habe ich Gnade gefunden vor deinen Augen " Vers 3 - "Herr" ist hier nicht Gott, sondern ein Mensch!) angeredet.

Seit der Vätergeschichte tauchen die Engel an den zentralen Wendepunkten der Heilsgeschichte auf. Bei den Erzvätern geschieht das beim Untergang von Sodom und Gomorra (1. Mose 18-19). Jedoch auch bei der Verschonung Isaaks (1. Mose 22), bei der Himmelsleiter und der Neuverheißung Jakob gegenüber (1. Mose 28,12) und sogar beim Kampf am Jabbok, in dessen Verlauf Jakob den neuen Namen "Israel" bekommt (1. Mose 32,25ff). Auch der Auszug aus Ägypten wird durch Boten Gottes begleitet. So erscheint der "Engel des Herrn" Mose am brennenden Dornbusch (2. Mose 3,2f), Engelweisungen geben nach der Apostelgeschichte (7, 53) das Gesetz am Sinai (vgl. auch Galater 3,19 und Hebräer 2,2). Engel schreiten zugunsten des Volkes Israel ein. So werden im Siegeslied der Deborah in Richter 5,20 Sterne erwähnt, die eingreifen. Sie können als Symbol für Engel verstanden werden (vgl. auch Offenbarung 12,1). Jesaja bekommt seine Aufgabe von den Serafim (Jesaja 6) übermittelt. Die Geburt Jesu wird Maria von Gabriel angekündigt (Lukas 1,26f). Den Hirten auf dem Feld erscheint der "Engel des Herrn" und die "himmlischen Heerscharen" (Lukas 2,9ff). Die Auferstehung Jesu wird den Frauen (und Jüngern) von Engeln verkündigt (Matthäus 28,1ff par.). Bei der Himmelfahrt treten zwei weiße Gestalten auf (Apostelgeschichte 1,10).
Dort, wo Engel auftauchen, tritt in diese irdische Welt Gottes Welt hinein. Dieses Zusammentreffen löst beim Menschen Furcht aus. Der unheilige Mensch begegnet dem heiligen Gott, deshalb begegnen die Engel dieser Furcht mit dem Satz "Fürchtet Euch nicht!" Die Engel selbst haben durchaus auch Gefühle. Es gibt z.B. Freude über die Umkehr eines Sünders (Lukas 15,10) oder auch über die Erlösung (1. Petrus 1,12).

Engel treten jedoch auch als Vollstrecker des Gerichtes Gottes auf. So schlägt z.B. der "Engel des Herrn" 185.000 Soldaten der Assyrer (1. Könige 19,35). Die Engel tauchen auch in der Beschreibung der Endzeit auf. Matthäus 25,31f mag als Beispiel dafür stehen, wie die Engel mit dem Menschensohn kommen werden, wenn die Schafe von den Böcken geschieden werden.

Nicht zu vernachlässigen ist die Aufgabe der Engel, Zeugen der Fürsorge und Bewahrung zu sein. Immer wieder erscheinen Engel im Traum, um den Menschen den rechten Weg zu zeigen. Als Beispiel dafür steht 1. Mose 28,12 (Himmelsleiter), 31,11 (der Segen, den Jakob über die sprenkligen Schafe bekommen soll) oder auch Matthäus 1,20 (Josef). Im Zusammenhang mit den Phänomenen des Traumes ist zu bedenken, dass Gott sehr wohl auch Träume benützt. Jedoch sieht die Bibel Träume sehr kritisch (vgl. Jeremia 23,28).
Engel beschützen das Volk oder einzelne Personen: Israel am Schilfmeer (2. Mose 14,19), Elia wird durch Engel gestärkt (1. Könige 19,7), die drei Freunde Daniels werden im Feuerofen bewahrt (Daniel 3,24ff), Daniel selbst in der Löwengrube (Daniel 6), Jesus wird nach der Versuchung gestärkt (Matthäus 4,11), Paulus in Seenot ermutigt (Apostelgeschichte 27,23) usw.
Im Zusammenhang mit Bewahrung und Fürsorge treten bis heute zwei Thesen auf. So hätte zum einen jeder Mensch seinen persönlichen Schutzengel. Dies wird aus Apostelgeschichte 12,15 abgeleitet. Ob dies so richtig ist, ist nicht unumstritten. Zumindest ist dort jedoch speziell von den Gläubigen die Rede. Zum anderen wird vertreten, Kinder hätten besondere Schutzengel. Auch dies hat einen biblischen Hintergrund. Es geht auf die Stelle Matthäus 18,10 zurück. Dort jedoch sind mit den "Kleinen" wohl die "Neuen im Glauben" bzw. "die in Anfechtung Stehenden" gemeint.

4. Welche Engel bzw. Engelgruppen sind mit Namen bekannt?

Die Bibel schildert uns verschiedene Engelgruppen, deren einzelne Vertreter sogar mit Namen bekannt sind. So kennen wir die Erzengel (von griech. archie = erste, Anfang). Namentlich ist uns Gabriel (=Kraft Gottes) bekannt. Er ist der Ausleger der Gesichte bei Daniel (Daniel 8,16 und 9,21). Er kündigt die Geburt Jesu (Lukas 1,19.26) genauso an, wie die Geburt des Johannes des Täufers (Lukas 1,1-11). Ein zweiter ist Michael (= Wer ist wie Gott?). Er ist der Erzengel, der die Kämpfe gegen das Tier zu bestehen hat (Daniel 10,13.21 Judas 9 und Offenbarung 12,7). Neben diesen beiden kennt die jüdische Tradition noch 5 weitere: Rafael (der Begleiter des Tobias im gleichnamigen Buch), Uriel, Sariel, Remiel und Raguel. In der jüdischen Literatur werden viele Engelgeschichten erzählt. Dies prägt bis heute die Engellehre sehr. Als weitere Engelgruppe werden die Seraphim (vom hebr. "brennen") genannt. Sie stehen in besonderer Beziehung zur Heiligkeit Gottes (Jesaja 6). Sie sind menschengestaltig, haben aber 6 Flügel. Als letzte Gruppe sind die Cherubim zu nennen. Sie sind Mischwesen, voller Augen und mit mehreren Gesichtern (Hesekiel 1,4ff und 41,19). Sie erscheinen oft, wo Gott selbst anwesend ist (Hofstaat!) und werden als Beschützer der heiligen Geräte beschrieben (Garten Eden 1. Mose 3,24; Bundeslade 2. Mose 25,18-22).
Insgesamt fällt auf, dass die Bibel die Engel nicht ausführlich in ihrer Natur, Sprache, Aussehen, Herkunft, Zahl und Größe beschreibt. Der Bibel ist die Aufgabe der Gottesboten wichtiger.

Es gibt viele biblische Geschichten, die Aufgabe und Art der Engel beschreiben. Eine ist besonders geeignet, exemplarisch über Engeln zu arbeiten. Matthäus 28, 1-7 beschreibt die Engelerscheinung am Tage der Auferstehung den Frauen gegenüber. Hier tauchen verschiedene Ereignisse auf, die beispielhaft sind. So das Erdbeben, das eintritt, als Gottes Ewigkeit unsere irdische Gegenwart berührt. Die Furcht des Menschen, die auftritt, wo der Heilige die Unheiligen trifft. Die Verkündigung des Wortes Gottes (hier der Auferstehung), die durch den Engel geschieht. Der Auftrag, der den Frauen gegeben wird, das Evangelium weiterzutragen.

5. Wie ist das mit den "gefallenen Engeln"?

Wenn schon die Bibel mit Beschreibungen der Engel sehr zurückhaltend umgeht, dann um so mehr mit den "gefallenen Engeln". Es gibt einige Stellen, die auf diese Engel hinweisen. Gerne wird auf die "Gottessöhne" in 1. Mose 6,1f hingewiesen. Im gleichen Zusammenhang wird auch Hiob 1,6 und 2,1 zitiert. Auch hier begegnet uns der Ausdruck "Gottessöhne". Beide Stellen bleiben jedoch im Dunkeln, besonders wenn bedacht wird, dass 1. Mose 6,4 die "Gottessöhne" als die Vorfahren der Riesen sieht.
Deutlicher spricht das Neue Testament. So erwähnt Judas 6 "Engel, die ihren himmlischen Rang nicht bewahrten" und 2. Petrus 2,4 spricht von den "Engeln, die gesündigt haben". Beide Stellen zeigen, dass Engel auch abfallen können. Wie dies geschehen sein könnte, könnte in Offenbarung 12,4 beschreiben sein. Dort wird berichtet, wie der Schwanz des Drachens "den dritten Teil der Sterne des Himmels" wegfegte und "auf die Erde warf". Wenn mit Sterne - was anzunehmen ist - Engel gemeint sind, dann hat der Satan einen beachtlichen Teil des Hofstaates Gottes an sich gezogen. Diese Engel (vgl. Offenbarung 12,7) kämpfen mit dem Satan gegen Michael und die Engelsmacht.

Was bedeutet dies für uns Christen?

Wir stehen in einer Welt, die nicht nur von Gottes Mächten durchwebt ist. Der Widersacher Gottes, der Durcheinanderbringer hat sich auch eine Macht aufgebaut. Gott aber ist stärker. Auch Matthäus 25,41 zeigt, dass Jesus Christus ihnen ihren Platz in der Hölle zuweist. Auch hier gilt, dass Jesus Christus stärker ist und seine Rechte die Oberhand behält.

Müssen wir Angst haben?

Wenn Paulus in Römer 8,38f seine Geborgenheit in Gottes Liebe, die in Jesus Christus liegt, betont, gilt dies auch für uns. Wer sich an Jesus hält, der wird die Stürme dieser Welt (geistlich und endgültig, d.h. von der Ewigkeit her gesehen) unbeschadet überstehen.

Grundsätzlich gilt, dass wir Christen uns mit Jesus Christus befassen wollen und dürfen. Dem Widersacher Gottes, Satan wollen wir nicht die Ehre geben, uns zu lange mit ihm zu beschäftigen.

6. Greifen Engel auch heute noch ein?

Es gab eine Zeit, in der alle nicht erklärbaren Dinge abgelehnt wurden. Damals sagten Menschen, Engel gäbe es nicht. Unsere heutige Zeit prägt uns anders. Unerklärliches gehört zum Selbstverständlichen. Es wird für manche im Rahmen von New Age sogar lebensbestimmend. Wir Pietisten haben weder auf die eine, noch auf die andere Seite zu fallen. Wir wissen um Mächte, die Gott geschaffen hat, ihn zu loben und zu preisen, aber auch mit Menschen in Kontakt zu treten. Jedoch wissen wir auch um Jesus Christus, der der einzige Weg zum Vater ist, an den nichts heranreicht, dem wir im Leben wie im Sterben zu vertrauen haben.
So ahnen wir von Gottes Boten in dieser Welt, ordnen sie aber an der richtigen Stelle ein: Sie sind Diener Jesu, Diener Gottes. So dürfen wir nüchtern diese Welt und unser Leben betrachten und gelassen auf Gottes Bewahrung vertrauen.

Gottfried Holland, Gnadauer Brasilien-Mission